Volksbühne Berlin
Und es ist angerichtet, vorerst, in der
Volksbühne Berlin.
Klaus Dörr, der als Provisorium gerufen wurde und nun die Intendanten-Rolle bis 2021 (?!) immer selbstbewusster nutzt, um aufzuräumen (mit den Schulden z. B.), aufzubauen ( 1 Ensemble, inzwischen bestehend aus 17 weitgehend unverbrauchten Gesichtern z. B.) und auszurufen, wohin als Nächstes die Reise des Koloss
Volksbühne gehen soll: "Geschichtsmaschine" heißt der Fahrplan.
An der Seite des Kapitäns
Dörr stehen nun die Geschäftsführende Direktorin
Nicole Lohrisch, die Haus-Regisseurin
Lucia Bihler und als 1. Offizier und Schauspieldirektor der Träger eines klingenden Namens, nämlich
Thorleifur Örn Arnasson. Letzterer begeisterte zuletzt in Hannover mit seiner Version der EDDA und erhielt in 2018 den Theaterpreis DER FAUST.
Gedeckt wird der Tisch für die Gäste der kommenden Spielzeit unter Anderem mit
Arnassons Nacherzählung der
Odysee, Inszenierungen von V
oges, Pucher, Bauer, Kennedy u.a. sowie
Lucia Bihlers Feminismus-Spezial über weibliche Lust und
Iphigenie im Callcenter.
Frischer Wind also, der da die Segel bläht,
Dörr hat handfeste Arbeit geleistet (ein Theater ist wieder einsatzfähig) und den Mut bewiesen, ohne viel Brimborium und ohne weiche Knie, ziemlich rasch zudem, etwas zusammenzustellen, das (insgesamt durchdacht und stimmig) für Neugier sorgen kann. Ach ja, und echte Dramaturgen gibt es auch wieder an Bord. Dass bereits ein bisserl Gegenwind pfeift und hie
und da kritisch gefleddert wird, ach, was sind das für Peanuts gegen das, was die Volksbühne hinter sich hat. Ahoi und wohl bekomms!
3 x Schaubühne
Ach ja, Theater, Theater! Die Abende sind noch nicht lau genug gewesen, das Angebot zu vielfältig, in
FIND tummeln sich genügend Interessierte und für den Mai benötigt es noch Energien, da geben sich
Autorentheatertage und das
Theatertreffen die Klinke in die Hand.
Thomas Ostermeier bekam für 2 seiner aktuellen Inszenierungen wenig Begeisterung, zu glatt sei das eine, zu schmerzfrei das andere ("abgrund" und "Ein Volksfeind") und
Michael Thalheimers aktuelle Vorliebe für Shakespeare trifft wahrlich auf keine Gegenliebe in der Kritiker-Zunft.
Ach, das tun wir uns nicht an, das sitzen wir aus, so dachte die Paganini´s-Redaktion. So ist das eben mit den Ausreden, die sind selten sonderlich schlüssig, dafür aber dienlich. Und Letzteres manchmal sehr. Nach der Ausrede für ein Versäumnis, folgt nämlich oft schon die Suche nach einer (bequemeren) Alternative.
Schaubühne sollte es irgendwie sein. Aber ohne Anfahrt und Kokolores. Dafür mit der
Nina Hoss. Und mit dem
Mark Waschke. Und natürlich auch mit Ungetüm
Lars Eidinger. Direkt zu uns auf das Kanapee. Oder so. Und wir wurden fündig. Und noch mehr.
Ein tatsächlich hiermit wärmstens ans Herz gelegtes Kino-Kleinod kam per Video-Stream zu uns: "Fenster zum Sommer". Zwar fehlt
Ursina Lardi, um die
Schaubühnen-Stars zu komplettieren, dafür gibt es als Bonus eine
Fritzi Haberlandt, die mehrere Tode stirbt. Und eine
Nina Hoss, die ihr spannendes Gesicht zum glühen bringt, wie selten. Z. B. bei der 1. Begegnung mit ihrem Schicksals-Menschen (
Waschke, oh, welch schönes Paar!) in der Wiederholungsschlaufe. Oder bei der Konfrontation mit dem Unerklärlichen namens DETERMINATION. Und bei ihrem Kampf um Selbstbestimmung und das Leben ihrer Freundin. Ein verzaubernder Genre-Mix (Zeitreise, Melodram, Scifi) ist da zu bewundern, der lange nachweht, in der Seele und Freude (im besten Sinne)
hinterlässt. --->
Lanthimos und das Kosslick-Motto
Ein roter Schal allein, macht noch keinen
Kosslick. Wir sind bekennende Gewohnheitstiere. Seit 18 Jahren wärmte der Schal den Hals des Direktors des Berlinale-Zirkus, nun hängt statt dessen das Verdienstkreuz 1. Klasse auf seiner Brust und der
Dieter Kosslick ist dennoch weg! Nie mehr ein Motto, auf das sich die hungrige Meute der Presse-Menschen stürzen könnte. Nie mehr eine
Agnes Varda zu Besuch in unserer Stadt. Nie mehr die
Berlinale, wie sie (für uns subjektiv gefühlt "seit immer"!) gewesen ist. Winkewinke und Good Bye, vorbei ist vorbei. Ach Herrjeh, Vanitas! Alles ist eitel und vielleicht ist das auch gut so.
Die neue Doppelspitze bekräftigt, dass das Kino-Festival auch weiterhin Publikums-Festival bleiben soll. Aber zunächst einmal örtlich dezentralisiert (über die gesamte City verteilt) oder so, wir wollten das gar nicht wissen, huhuhu, und wissen es auch nicht, wie soll das denn gehen, da wird doch alles anders, ohgottogott, huhuhu..!
--->
Genug gejammert. Halten wir uns einfach fest. Fest am Bleibenden. Wir wissen nun alle was ein "Systemsprenger" ist,
Kosslick sei gedankt und wir haben begriffen, dass "das Private politisch" ist. Und auf unserer detektivischen Suche nach der Bestätigung des allerletzten
Berlinale-Mottos aller Zeiten (huhuhu) und auf der weiteren Suche nach der intensivst-möglichen Umsetzung desselbigen, landeten wir bei "Dogtooth" und seinem Macher
Giorgos Lanthimos. Und das wiederum ist sehr lohnend gewesen. Wenngleich nicht unbedingt schön. Und mit Sicherheit ganz und gar nicht herzerfreuend. Aber dennoch.
Lanthimos, dessen Film "The Favorite" bei den diesjährigen
Oscars hoch gehandelt wurde (weniger reich bedacht, am Ende) hat mit "Dogtooth" das Wunder vollbracht, einen der unsympathischsten, kältesten und sezierendsten Filme der Filmgeschichte zu erschaffen. Perfekt inszeniert, wird hier eine faschistuid funktionierende, das Böse hervorbringende Eltern-Welt vorgeführt, die noch
Lars von Trier das Fürchten lehren könnte.
Unbedingt sehenswert!