Paganini´s...

Motto von Paganini, dem Kater:
"Es lebe die totale Subjektivität des Feuilleton!"

Mittwoch, 25. Dezember 2019

Die ultimative Film-Empfehlung...

...zum wunderbaren Neujahr!


Oh, dieser Sound.

Huiiiiijiiiiijiiiiwitschwitsch. Buuuuummmmm. Buuuuuummmm. Schischiiiiiiiischiiiijuijuijuiwuuuuuuuum.

Es zischt. Es kracht. Es bäumt sich auf, das alte Jahr mit seinem Krach. Erkämpft sich im Neuen sein Terrain. Die Bomben fliegen hoch und höher und kehren als Tiefschläger zurück. Mitten in den Gehörgang hinein. Und nirgends ein Ausweg.

Uijiiiiiwitschwitschwiiiitschjoooonggoooongbuuuummmwitschhhhiiiiiiwitschiiiiiiongongongkong.

Dazu Input aufs Auge (immer drauf, der Blitz, immer rein, auf die Netzhaut). Das Auge tränt, das Auge geht über. Geht über ins Ohr. Das sich kaum mehr traut sich selbst zu trauen. Denn entgegen jeder Natur: Ducken, weggucken und nicht hören sind in dieser Nacht strengstens verboten.
Dies Tröpflein Blut aus dem Ohr hat noch nicht geschadet.

Hörst Du? Es ist SILVESTER! Siehst Du? Das neue Jahr beginnt!

Nur ein einziger Film kann gekonnt in Konkurrenz stehen, zu Böller-Schuss und Glitzer-BummBumm, das den 01.01. um 00:00 Uhr einläutet, ins Gedächtnis ruft und in Erinnerung hält.

"Diesen Film, verdiente Herrschaften, sollten Sie hören und sehen. Er könnte Ihren Blick (z. B. auf den Kulturbetrieb) bereichern und Ihr musikalisches Ohr schärfen". (Boncuk, der Kater, i. d. Redaktions-Konferenz)

Feiern Sie im feinen, kleinen Kreis Silvester und haben weder Lust auf "Stehrumchen" noch auf "Fidel-sein-auf-Kommando"?
Feiern Sie eventuell alleine oder im intimen Tete-a-Tete der Zwei?

Hier ist sie, die ultimative Film-Empfehlung zur Silvester-Nacht (oder auch - mit schwerem Kopf und Drangsal in der Brust - zum Neujahrstag):

THE SOUND OF NOISE

Kulturkritisch, kultverdächtig, kunstanarchistisch und (diskussionslos) ein einzigartiges, ein geniales und ein prächtiges Feuerwerk aus Kino (und, ähm, jawohl, Musik).

Ein Film wie ein Knaller.
Ein Knaller wie ein Knall.
Ein Knall aus Film.





WONDERFUL 2020!
Besser (oder schlimmer) kann es ja nimmermehr werden!





Wikipedia zu diesem Film über 6 anarchistische Musiker u. 1 Kommissar ---> HIER

Mittwoch, 4. Dezember 2019

Die wunderbare Mythologie! XIII. Teil:

Narziss oder die Tücken der Selbstbespiegelung


Caravaggio, Narzisse

Ja, die wunderbare Mythologie!

In loser Folge will Paganini´s ein Streiflicht darauf werfen, so wie die
Mythologie von jeher das Dunkel unserer (Menschen-)Welt durchleuchtet hat.
Sie fand die Chiffren für das Prinzip, das uns bewegt:
Das Schicksal des Menschen, ein Mensch zu sein!

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Narziss. Ein Name wie eine Blume. Ein Name wie ein Duft. Und ein Name wie ein Verhängnis.
Die Schönheit seiner Gestalt ist bis heute sprichwörtlich. Von Dichtern besungen, von Malern auf Leinwand eingefangen. Der schönste junge Mann des guten, alten Griechenlands ist ER.

Was könnte auch aus der Hochzeit einer Meeresgottheit mit einer Wassernymphe anderes entstehen, als ein höchst fragiles, anmutiges und in diversen Facetten betörend schillerndes Menschenkind? Wenngleich auch die Ruppigkeit, mit der sein göttlicher Vater die Nymphe bezwang, bereits einer brüchigen Seele den Boden bereitet haben mag. Wer weiß das schon!

Wer überhaupt weiß schon wirklich von dem Unglück, das im Herzen von Narziss brütete, obgleich er doch zum Glücke auserkoren scheint. Geliebt von jedem Auge, egal ob männlich oder weiblich, begehrt und angeschmachtet von jedem Blick, der ihn in seiner verlockenden Vollkommenheit streift. Müde und angewidert nimmt Narziss seine Wirkung zur Kenntnis. Da fehlt doch was im Liebenden, in der Verliebten, was ist das nur, dass keine Erwiderung von seiner Seite möglich scheint.

Narziss treibt all jene in den Wahnsinn, einen gar in den selbst gewählten Tod, die ihn schauen, begehren und dennoch nicht berühren dürfen. Der Bursche hat nur ein melancholisches Schulterzucken dafür. Der edlen Göttin Nemesis wird das Ganze schließlich zu dumm und sie straft ihn ob seiner Gleichgültigkeit mit genau dem Geschick, das er sich selbst zuvor bereits gesucht zu haben scheint:
"Ich, Göttin Nemesis, verdamme Dich undankbaren Bengel zu ewiger, quälender, unerfüllbarer Selbstliebe".
Aus göttlichem Mund beschlossen, folgt sogleich die schwerwiegende Konsequenz.

Narziss wird angelockt vom funkelnden Wasser eines Weihers und er erblickt zum 1. Mal sein unvergleichliches Abbild in der spiegelnden Oberfläche. Sein Herz beginnt zu rasen. Die Glut, die ihm bis dato fremd geblieben, erfüllt ihn mit pochender Liebeslust. "Der oder Keiner!" singt sein Innerstes.
Weiß er, dass er sich in sich selbst verguckt, oder hält er das ebenmäßige Ich für den begehrten ANDEREN? Hier scheiden sich die Geister der Überlieferung. Lassen wir dem Unglücksknaben ruhig dieses Geheimnis.

Überliefert ist sein sicherer Tod nach unzähligen qualvollen Nächten, die sein Begehren nicht erfüllen konnten. Er beugt sich tief über den Teich, um den entgegen lächelnden Jüngling küssen zu können, verliert sein Gleichgewicht nun vollends und liegt bald bleich und aufgeweicht auf Weihers Grund. Der Götter und der Verschmähten Hohngelächter ist noch zu hören. Nebst Echo. Geboren aus Schmerz und geboren aus Neid.
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...und was lernen wir aus dieser uralten Geschichte?
Nichts, aber auch wirklich Nichts hat sich verändert!
Seit Ur, das der Anfang war !


Wikipedia über Narziss--->HIER


Und wir, die Paganini´s-Redaktion wünschen mit dieser neuen Episode
unserer traditionellen "wunderbaren Mythologie" eine gute, eine liebevolle Weihnachtszeit und ein ganz besonderes, ein erfülltes und auch erfüllbares neues Jahr 2020"!
 
Miau and Good Luck!
 
Wir sind irgendwann im neuen Jahr mit alter, ähm, Frische zurück...

Donnerstag, 21. November 2019

Aus der wunderbaren Kladde...

...der Paganini´s - Redaktion!


"Der Totentanz. Er ist vorprogrammiert gewesen. Es ging diesmal ins Nichts hinein.
Das Nichts ist ein Gedicht. Ein fallendes Steigen. Ein züngelndes Geigen. Natürlich ohne Orchester und ohne Gesang. Man stellt sich das Nichts als umhüllendes Schwarz vor. Ein Schwarz, aus dem die Schatten gleiten. So ein saugendes Schwarz. Dem sich die Farbe widersetzt. Aus der es geboren wurde. Dieses Nichts. Das um Alles weiß. Bevor sich das Ganze als Irrtum beweist. In diesem einen, vielleicht nicht einzigen, Totentanz."
(Notizen zu Menchenlichter im Tollhaus)





Boncuk, der Kater, in der Redaktionskonferenz:

Meine geliebten, weltabgewandten Mitarbeiter. Meine blödsinnigen Täubchen.
Meine Kreativen dieser völlig desolaten Redaktion.
Ist das Nihilismus? Nihilismus bringen wir nicht!
Ist das etwa Esoterik? Schande über Euch!
Ist das einfach aus der Kladde herausgefallen?
Na, was soll ich dagegen tun...

Und ein herzzerreißendes Schnurren breitet sich aus, in den Räumen der Paganini´s-Redaktion...

P.S.: Wegen  diverser Dringlichkeiten pausieren wir bis Mitte/Ende Dezember und melden uns spätestens mit "Die wunderbare Mythologie" zum Jahreswechsel zurück!

Mittwoch, 20. November 2019

Social Media - Synonym für Allerlei...


...und Nichts...




Katerchen "Petit Pati" ganz privat!


Das Besondere, das Reizvolle, das Verhängnisvolle und das Verführende der Social Media- Plattformen ist sicher die untrennbare Verknüpfung von einem Privatem mit der Öffentlichkeit. Auf einmal kann all das, was ein Ich bis dato z. B. der besten Freundin offenbarte oder per Web-Cam zeigte, in einer Art "Fernsehen" sein.

 Fernsehen ist immer auch ein Synonym für Prominenz gewesen. Dieser Effekt fließt ganz eindeutig in die Beliebtheit der Social Media hinein. An dieser Stelle kommt die Energie des "Hype" ins Spiel.

Uijuijui. Tausend Followers!

Die in den herkömmlichen Medien professionell vom "subjektivem Wunsch" getrennt gehaltene "Meinung", hat (tradiert) einen informativen und recherchierten Hintergrund, weit weniger aber eine persönliche Färbung im individuellen oder gar sich selbst verwirklichendem Sinn.

Im Print wird ein Relotius zum  Skandal!

(Und Jeder ist entsetzt, dass solch ein ungeprüftes Material im Spiegel sein konnte. Aber immerhin ist Jeder entsetzt, dass Relotius sich da vergaloppieren durfte).

In den Social Media gibt es diesbezüglich (noch) keine ungeschriebenen oder festgelegten "Gesetze" oder einen vebindlichen Ehren-Kodex, die gemeinsam eine Individualität und ihre Meinung tendenziell und wertend begrenzen könnten.

Dafür gibt es eine ausgesprochen riesenhaft anmutende Toleranz für nahezu jede Intimität und jede Meinung.

Applaus und Kritik sind ebenfalls von Trends und Launen abhängig. Aber natürlich auch von schlichten Sympathien. In gewisser Hinsicht ist das einfach ein Teil der "mehrheitlichen Meinung":

Der Spießbürger und Nachbar, mit seinen Argus-Augen und seinem Gefühl für pluralistsich in der Luft liegendender Skepsis für das "Abnorme" kommt ins futuristische Spiel des Internets. Aber auch das Gegenteil. Der Spießer steht ganz öffentlich am Pranger. DER ist ein Arsch.

Ist das gut. Ist das schlecht.

Oder...?

Man denke sich nun Toleranz und Intimität gespiegelt in der zwingend dazu gehörigen Polarität von Intoleranz und Öffentlichkeit, oder von "Toleranz ist, wenn ich in der Öffentlichkeit auch unter der Gürtellinie ätzen darf" und "Öffentlichkeit ist, wenn ich mir einen runterhole und gefavt werde".

Keineswegs verwunderlich erscheint so die Verwunderung über Wildwucherndes und Hate und Pain und Fame im Internet. Da ist noch Alles offen.
Da fehlen die "Gerüste", die es bisher immer gab, wenn ein Junior in die Medien-Stapfen der Senioren treten wollte.

Natürlich gibt es längst auch in den Social Media die Cracks, die wunderbar auf dem Flow balancieren und Intimität wie Öffentlichkeit genießen und in einer Mitte professionell die Grenze wie das Wagnis zusammen halten können.

Der Profi ist immer ein Stückchen voraus, sagt man so dahin. Der Profi ist vorrangig irgendwann (von Innen oder Außen) gut beraten gewesen. Man wird sehen.

Aber gut hinsehen sollte man auch!





Teil II folgt....

Montag, 21. Oktober 2019

Aus der wunderbaren Kladde...

...der Paganini´s-Redaktion!


Die Schuld ist ein schwarzes Wasser. Ein träge fließender Strom. Ein Ungeheuer von Loch Ness. Ein Saboteur. Ein unterirdisches Aas. Da wo die Füße sich Grund suchen, die Hoffnung auf neue Erde baut. Da ist das Wasser ein Moor. Da tritt der Strom die Füße  mit seinem Hohn. Da zeigt sich die Spur als nicht gangbar. Gelächter aus Tiefen wird begleitet vom klebrigem Lehm  wie Spucke. Es ist aus. Da ist nur Verderben ohne Sonnen. Die Schuld ist ein dunkles Loch. Da hocken die armen Seelen. Da zeigen ihre Finger auf mich. Und ich lasse mich zu ihnen ziehen. Und strecke den Arm aus. Und will ein Gesicht liebkosen. Und greife ins Leere. Die Schuld ist ein Schatten. Sie wird nur sichtbar im Licht. Irgendwann werde ich da sein. Wenn die Füße mich nicht mehr tragen müssen. Und das dunkle Wasser ein Mythos ist.
(Notizen zu Menschenlichter im Tollhaus)




Boncuk, der Kater, in der Redaktionskonferenz:

Meine Täubchen. Ihr meine Darlings. Ihr prächtigen Mitarbeiter unserer herunter gekommenen Redaktion.
Welch herbstliche Gedanken schlafen heute hinter Euren Schläfen?
Was für seltsame Zeilen muten wir uns zu?
Aber da muss eben ein weißes Papier gefüllt werden.
Ach, Firlefanz. Dann nehmen wir eben, was wir haben!

Und ein prächtiges Schnurren breitet sich aus, in den Räumen der Paganini´s-Redaktion...

Dienstag, 15. Oktober 2019

Ein Stern zieht auf, über dem Himmel von Berlin...

...doch davon erst in der Mitte des Textes...!


Was uns so vom Rande her auffällt, zur Zeit, in der Bühnen-Welt-Hauptstadt dieser Erde


Nun, die Volksbühne Berlin hat es weiterhin nicht leicht, aber seit Castorf weg ist, hatte sie es auch niemals leichter als jetzt.
Man könnte auch sagen, dass die Volksbühne Berlin von den Kritikern geradezu mit "plakativen Samthandschuhen" angefasst wird, obwohl die so gerne Keulen schwingen würden.
Aber nach der total missglückten Ära Dercon tut eben ein Jeder ein bisserl jovial, frei nach dem Motto:
 "Wir wissen nun alle, es könnte noch viel schlimmer sein".

Das ist ziemlich doof. Und es wird der  Interims-Ära von Dörr nicht gerecht. Auf der einen Seite sind alle ganz sanft, obwohl ziemlich hart (so als würde man auf die "besondere" Situation dieses "Zwischendurchs" Rücksicht nehmen) und gleichzeitig wird deutlich, dass die Neuanfänge der Nach-Castorf-Volksbühne messerscharf (doch unbenannt) verglichen und vermessen werden. 

Konkret: Die Odysee ist durchgefallen, hätte Arnarsson als Nachfolge seiner umschwärmten Edda diesen schwächeren Abend anderswo inszeniert, so wäre dies genauso aufgenommen worden, wie die schwächeren Abende von Mondtag, Castorf, Pollesch etca.:
Nämlich ungemütlich, aber weit weniger verheerend.

Verheerend empfinden wir gerade diese "Wir üben Nachsicht"-Haltung, die eigentlich an dieser Stelle nicht passt.

(Gar nicht) komischerweise hat die New-York-Times als einzige Zeitung  recht differenziert und einordnend von diesem Abend berichtet.

Auch Voges war doof an der Volksbühne. So lasen wir.
In Dortmund aber fulminant!
Nun also bald Wien.
Man wird sehen.

Was die Volksbühne angeht wissen Alle: Da kommt bald der Pollesch.
(Was es der "Zwischenlösung" wahrlich nicht leichter macht).

Dass der in alle Stapfen passt, auch die allergrößten, gerade weil er fremde Stapfen gar nicht kennt und längst seine eigenen Stapfen gerne erweitert und ausfranst  und souverän von -sagen wir mal - Jemandem wie Hinrichs bestapfen lässt, der ja nun auch schon Schläge ohne Ende bekommen hat, weil er als Schauspieler seinen Mund ganz gerne sehr wunderbar und rhetorisch äußerst begabt nicht hält sondern "auf und zu" macht, auch wenn kein Regisseur das von ihm verlangt hätte, das zeigt der Pollesch gerade in einem (rein räumlich gesehen) weit größerem Theater als es die Volksbühne ist:
Dem Friedrichstadtpalast.

Na klar, Pollesch könnte auch Las Vegas.
Ein Vollidiot, der das bezweifelt hätte.
Nur kann der auch Las Vegas auf richtig künstlerisch.

Hier zieht nun der Stern auf, über dem Himmel von Berlin, der in dem Post-Titel versprochen wurde.
Oder besser: ein (von uns über alles geliebtes) Sternen-Paar zieht seine zu erwartende Bahn, nur etwas verfrüht, da sie wohl nicht länger warten wollten.

Zwei sperrige Gesellen, vereint durch die Kunst, Schwere und Leichtigkeit in einer einzigartigen Balance halten zu können.

Die Kritiker Berlins jubeln endlich einhellig.
Uns geht das  Herz auf.

"Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt ..."!

JA.


Hier mehr zum Sternenpaar:
https://www.palast.berlin/show/glauben-an-die-moeglichkeit-der-voelligen-erneuerung-der-welt/

Und hier zur Odysee der Volksbühne:
https://www.volksbuehne.berlin/de/programm/8581/eine-odyssee

Donnerstag, 12. September 2019

Die unbedingte Film-Empfehlung:

First Reformed von Paul Schrader!


First Reformed ereilte uns zufällig, unempfohlen und unbekannterweise beim "kramen" in der Mediathek. Und First Reformed blieb hängen wie eine traumatisierende Erfahrung mit nachträglichem Glückseligkeitsgefühl. 

Kurz: Es war wohl Zeit für uns und diesen Film.

Dieses Stück Kino ist eine formal-inhaltlich-ästhetische Wucht, die jeden umhaut, der nicht bei 3 aus dem "Kino-Saal" rennt. Oder aber er hat First Reformed nicht verstanden (und deshalb nicht geliebt).




Ethan Hawke ist Ernst Toller. Ein Pastor in einer kleinen Kirche der First Reformed Church in einem kleinen Nest im Staat New York. Hier will er zur Ruhe kommen. Hier plant er einen Neuanfang. Oder besser, hier plant er, sich zu sammeln. Und noch besser, hier plant er, sich in Ruhe zu Tode trinken zu können. 
Ein Neuanfang, der eine Buße sein soll. 

Ernst Toller ist ein von innen und außen Gequälter. Er kann jedem vergeben, doch nicht sich selbst. Und (vermutlich) nicht Gott. Seinen Sohn hat er in den Irak ziehen lassen. Er ist tot. Die Mutter und damalige Ehefrau hat ihn verlassen. Tollers Werte und sein Vertrauen sind erschüttert. 

Seine neue Kirche nennt er "Souvenir-Shop". Sie hat einen gewissen historischen Wert. Ein karges, asketisches Leben ohne nennenswerte Bedeutung erscheint ihm für sich selbst als Wohltat. Um die Gemeinde-Mitglieder kümmert er sich gut. Er hilft mit hoffnungsgebenden Gesprächen. 

Eine Hoffnung, die ihn selbst zunehmend verlässt. Er schreibt Tagebuch, um die verschiedenen Enden seiner seelischen Regungen zusammen zu halten. Und er trinkt. Allein. Ein Klopfen an der Tür, ein Appell von einer verzweifelten Frau "Mary", reißt ihn aus der Eintönigkeit und hinein in ein verschlingendes Thema: Apokalypse durch Umwelt-Zerstörung.

Die Konsequenz der Inszenierung durch Paul Schrader, die den Ernst und den ritualisierten Überlebens-Versuch einer Psyche zunächst mit statischer Kamera und trister Farbgebung begleitet, akustisch untermalt von einem sich steigernden  "Brummen" wie fernes Donnergrollen, baut eine Dichte auf, lässt einen Sog entstehen, der ahnen lässt, was sich in diesem Mann zusammenbraut. Und dann - auf einmal - visuelle Brüche, die das Auge des Zuschauers wie durch Blitze zucken machen.

Grandios, einzigartig und unverwechselbar im Kino. Viel wäre zu schreiben. Über Tollers Kampf mit dem Teufel zum Beispiel. Oder einen Sprengstoffgürtel. Und auch über einen Engel. Und einen atemberaubenden Kuss. Am Schluss. 

ANSEHEN!



Mehr zum Film in Wikipedia HIER--->

Mittwoch, 4. September 2019

Der wunderbare Buchanfang: XXVI. Teil

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"

(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.

Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Diesmal ein Buch, lebendig wie ein Leben und doch poetisch wie ein Gedicht:

Leonard Cohen, Das Lieblingsspiel

I

Breavman kennt ein Mädchen namens Shell, das sich Ohrlöcher stechen ließ, weil es lange, filigrane Ohrringe tragen wollte. Die Einstiche entzündeten sich, eiterten und hinterließen winzige Narben, die er entdeckte, als er ihr einmal das Haar nach hinten strich.
Eine Kugel zerfetzte seinem Vater den Arm, als er sich im Schützengraben aufrichtete. Ein Mann, der an Herz-Kranz-Thrombose leidet, findet Trost in einer alten Kriegsverletzung.


Bon Boncuk, der Kater, präsentiert "DAS LIEBLINGSSPIEL"


"Das Lieblingsspiel" ist der erste Roman (von Zweien) von Leonard Cohen, der sich zu dem Zeitpunkt der Erscheinung des Buchs (1963) noch ganz und gar als Schriftsteller identifizierte. Vom Musiker Leonard Cohen war damals weit und breit nichts zu sehen und nichts zu hören. Auch er selbst kannte ihn damals als Endzwanziger noch nicht!

Das Buch beginnt mit der Schilderung von Wunden und Narben und Versehrtheiten, auch von Falten, die der Gang des Wegs namens Leben so mit sich bringen kann, einmal selbst zugefügt und manchmal einfach so eingefangen, wie ein Schicksal oder einen Zufall.

Das Buch endet mit der Erinnerung des Protagonisten "Breavman" an das Lieblingsspiel der Freunde aus Kindheitstagen. Im Winter, wenn es stark geschneit hatte, hielten sie sich an den Händen, wirbelten herum wie ein Kreisel und ließen dann plötzlich los. Jeder fiel ins Weiß hinein, in einer ulkigen Stellung abgespreizter Glieder und stand rasch erneut auf den Füßen, um sich an den Abdrücken im Schnee zu erfreuen. 

Das Leben hinterlässt Spuren. Man nehme sie mit Leichtigkeit!

Ein Buch, prall gefüllt mit Geschichten, sprachlich von einer Frische, einem Spieltrieb und einem sprühenden Witz, der sich immer wieder an der dichterischen Metaphorik bricht.

Wer dies Buch noch nicht kennt: Unbedingt Lesen!








Mehr zum Buch HIER___>


Freitag, 16. August 2019

"Border" und die Larve vom Baum der Erkenntnis...

Nun gibt es den Film "Border" von Ali Abbasi nicht nur im Kino, sondern auch in den Mediatheken



Nach der Flut hymnischer Kritiken ist Anschauen für die Meisten der Cineasten ein Must Do. Auch die Anderen werden irgendwann auf den Trailer stoßen und sich anschließen, bevor sie aus Neugier geplatzt sind. Und einige Wenige nur, werden die filmische Umsetzung und Ausmalung einer Short-Story von John A. Lindqvist nach wenigen Minuten ausknipsen.

Das Menschen-Auge, sofern unflexibel und in Sachen Andersartigkeit nicht trainiert, kann Anstoß an einem ästhetischen Mangel der beiden Protagonisten nehmen, die selbst in dem Glauben "hässliche Menschen mit Chromosom-Fehler" zu sein,  aufgezogen wurden. Gerade dies allerdings ist ein großer Vorzug des Films, denn "schön" erscheinen diese Wesen (Trolle) nur, wenn sie sich in ihrer Welt (dem See, dem Wald, dem Wind) bewegen, balgen und - ja - frei und glücklich sein dürfen. Ansonsten erblickt der Zuschauer (aus seiner gewohnten Perspektive) das, was gemeinhin "verwahrlost aussehender Mitmensch" genannt wird. Ein "Fantasy-Drama", das sehr realistisch daher kommt und gerade deshalb extrem glaubwürdig nach Schuld, Sühne sowie Moral unserer Geschichte als Mensch fragen darf.

Fragen, die sich im Lauf des Plots sehr eindringlich auch "Tina" stellen wird, in ihrer wachsenden Selbst-Erkenntnis als Wesen einer nicht-menschlichen Spezies. Zu ihrem "Erwachen" - aus lügenhaft gesponnenen Identitäten heraus - braucht es den Anderen, den Polaren, der ihr dennoch gleicht und der sie berührt.

Die eigentliche Verführung beginnt mit Larven. Frisch gesammelt vom Baum, streckt seine klobige Hand das sich krümmende Tierlein in den Mund der Frau. "Du weißt, dass Du es willst", sagt der undeutlich artikulierende Mann mit den bräunlich verfärbten Zähnen und schwups, verschwindet die Leckerei im Gaumen der Auserwählten.

Ein Mann und eine Frau naschen vom Baum der Erkenntnis. In diesem Fall stehen der Baum und das Paar bereits außerhalb eines Paradieses.
Und die Erkenntnis besteht im Erkennen des Anderen als des Spiegels des Eigenen.
Die Larven sind als Bonbon für diese Zwei geschaffen worden!
Mit dieser erkannten Wahrheit ist der "Apfel" auch schon vom Baum gefallen und das Erkennen von Gut und von Böse in der Welt...

Ein Film, der sich stringent einer Zuschreibung zu bestimmten Genres, sowohl inhaltlich als auch ästhetisch, völlig verweigert. Selbst die Moral-Keule wird rasch wieder eingepackt bzw. ausgetauscht.
Allein schon wegen seiner Originalität ist "Border" sehenswert. Gestört hat uns allenfalls die anfängliche Verwunderung, dass unsere Erwartungen, getriggert durch die Vielzahl gelesener Rezensionen, allesamt durchkreuzt wurden.

Also: möglichst unvoreingenommen zurücklehnen und wirken lassen!



Mehr zum Film im guten, alten WIKIPEDIA--->

Sonntag, 28. Juli 2019

Der Garten als Metapher, als Utopie und Dystopie:

"Garten der irdischen Freuden" im Martin-Gropius-Bau!


Pipilotti Rist, Homo sapiens sapiens, 2005. Audio-Video-Installation (Videostill)

© Pipilotti Rist, Courtesy: Pipilotti Rist, Hauser & Wirth und Luhring Augustine

Eine wirklich ungewöhnliche, inspirierende und manchmal verstörende Ausstellung zu unserem neuen Lieblingsthema "GARTEN". 

"In der Ausstellung "Garten der irdischen Freuden" interpretieren über 20 internationale Künstler*innen das Motiv des Gartens als eine Metapher für den Zustand der Welt, um die komplexen Zusammenhänge unserer chaotischen und zunehmend prekären Gegenwart zu erforschen." (Martin Gropius Bau)

Wir steuern einen der ältesten und bekanntesten Texte in puncto "Garten" hinzu:

Der Garten Eden

Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte.

5 Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute;

6 aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land.

7 Da machte Gott der Herr den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.


8 Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.

9 Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.


10 Und es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme.

11 Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila und dort findet man Gold;

12 und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham.

13 Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch.

14 Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat.


15 Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

16 Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten,

17 aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.


18 Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.

19 Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen.

20 Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen wurde keine Hilfe gefunden, die ihm entsprach.


21 Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch.

22 Und Gott der Herr baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.

23 Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.

24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch.

25 Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht. (
Das erste Buch Mose (Genesis) (1.Mose 2,4-3,24))



Manchmal macht die Bibel einfach Freude wie ein Dejavu, wie etwas Altbekanntes, das verloren schien, wie ein Hauch von Nostalgie oder einfach wie ein Urgrund, aus dem bis Heute die Metaphern wachsen...

Dienstag, 4. Juni 2019

Die Suche nach dem allerersten Kinderbuch...

...führt über Neukölln-Rixdorf hinein ins verloren geglaubte Paradies!



Orbis pictus, Comenius, @CC


Die besten Streiche spielt uns noch immer das Schicksal. Und das folgt häufig geheimen Fäden. Erneut  (und nach Jahrzehnten eines Versuchs, das Erwachsenen-Leben zu bestehen) mit der Nase auf "Max und Moritz" gestoßen worden und darum niesend auch den "Struwwelpeter" aus der verstaubten Schublade ziehend, stand in großen LETTERN eine bis dato nicht interessierende Frage hinter unserer (der Paganini´s-Redaktion) Stirn:
Was, wenn gar nicht "Max und Moritz" und der "Struwwelpeter" die erste Generation der Comics für Kinder gewesen sind? Wer hat es dann verfasst und wie ist es gewesen, das allererste, populäre und illustrierte Kinderbuch der Welt?
Doch Fragen, die ungefragt hinter Stirnen  aufblinken, ziehen im Geiste wie Wolken weiter und hinterlassen nichts. Dieses Nichts zeigt sich als Leere, die bis dato so nicht offenbar gewesen ist.
Mit anderen Worten: wir hatten keine Lust zur Recherche, doch das Schicksal ließ uns nicht in Ruhe ignorieren.

Sonderbar sind der Nornen Winkelzüge. Sengende Sonne Anfang Juni in Neukölln. Müde der Rixdorfer Pflastersteine unter brennenden Füßen machen wir Rast, lehnen uns leger an einen hölzernen Zaun, den wir seit Jahren als unbezwingbar kennen. Und auf einmal springt auf das Tor, das stets verschlossen schien und hinter dem der "Comenius-Garten" auf einem Täfelchen angekündigt liegt. Uns genügte bisher ein Blick ins unspektakulär scheinende Grün hinein. Ein Garten ist kein Park und daher nicht öffentlich, so unser Vorurteil. Was wäre uns da fast entgangen!

Nicht nur die Findung des allerersten, illustrierten Kinderbuchs, nein, auch die Bäume und Sträucher und Gräser der Erkenntnis, die mitten in das verloren geglaubte Paradies hinein winken. Eine Wonne, eine Natur, eine einzige Harmonie, mitten im Brennpunkt-Bezirk Neukölln. Our Heart is open now for this strange Area.


Comenius-Garten, Natur-Paradies mitten in Neukölln, @Paganinis

Wiese! Wie lange ist es her, dass unsere Augen sich tatsächlich an einer Wiese sattsehen konnten. Nicht an einem Rasen und nicht an Gras und nicht an einem Monokultur-Feld und nicht an einer Grün-Anlage. Sondern an einer Wiese, deren Vielzahl an Halmen, Blumen und Kräutern im Wind rascheln, dazu die Bienen und Käfer ihr Summen und Surren zum Besten geben. Natur pur und doch nach strengen Regeln geplant und gepflegt.

Und hier, an dieser Stelle, werden wir neugierig und finden so das allererste, illustrierte Kinderbuch der Welt! Denn auf die nahe liegende Frage, was ein Naturschutz-Gebiet mitten im Großstadt-Berlin verloren hat, gibt nur ein asketisches Hinweis-Schild am Gartenzaun eine vage Antwort, die nun doch nach weiterer Recherche schreit. Das Schicksal macht nicht geneigt, das Schicksal zwingt. Es führt uns zu Comenius. Denn in seinem Geiste ist dieses Idyll geboren worden. Und in seinem Sinn sitzen hier nun eine bunte Kinderschar um einen langbärtigen Philosophen herum unter den Kirschen und reden über Sonne, Mond und Sterne, deren Spiegelbild im Teich erscheint. Was für eine Pracht aus Nostalgie!

Lange her ist es, dass Johann Amos Comenius seine neuzeitlich anmutende Pädagogik erfand, die vom Kind her gedacht, auf Zwang verzichtete, um das Humane im Menschen durch freudvolle Wissensvermittlung zu wecken. Als Tüpfelchen auf dem "i" seiner Reform, schrieb er das 1. Kinderbuch der Welt, das sich mit dem Gesamt eben dieser Welt in Muttersprache und Latein auseinandersetzt und mit gedruckten Holzschnitten illustriert ist. Lateinfibel, Lehrbuch für deutsche Sprache und Enzyklopädie. Doch staunen Sie selbst!(Link zum Buch unten!)

Wir wollen uns jetzt die Sonne auf den Pelz brennen lassen und im Comenius-Garten die Füße hochlegen. Kindheit ist immer. Auch Heute. Für uns.




Montag, 6. Mai 2019

Der wunderbare Buchanfang: XXV. Teil

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"

(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.

Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Diesmal ein Buch, das für die Meisten von uns ganz am Anfang der Kette aller Bücher stand, die wir bisher gelesen haben: 

"Max und Moritz" von Wilhelm Busch

Max und Moritz machten beide, Als sie lebten, keinem Freude:
Bildlich siehst du jetzt die Possen,
Die in Wirklichkeit verdrossen,
Mit behaglichem Gekicher,
Weil du selbst vor ihnen sicher.
Aber das bedenke stets:
Wie man”s treibt, mein Kind, so geht”s.


Originalzeichnung von Wilhelm Busch

Wir hatten ganz vergessen, welch hämische Freude in den Reimen dieses "Kinderbuchs" versteckt ist.
Grausamkeit an Grausamkeit reiht sich da von Streich zu Streich und dennoch vergeht einem nicht das Grinsen in den kindlich aufgeblasenen Backen. 

Haben wir - damals - als Kinder etwas daraus gelernt? Nein!
Haben wir uns - damals - als Kinder davor gefürchtet? Nicht die Spur!

Oder haben wir nur den tiefgehenden Eindruck, kleine Zeugen eines letztlich furchtbaren Geschehens zu sein, verdrängt? 
Zumindest nicht, dass wir es heute noch wüssten. 

Aber aufgewachsen mit Grimm, Hauff und Andersen, Hexen, die Kinder backen wollen und selbst im Backofen ihr (böses) Ende finden, schien die Unterteilung der Bücherwelt in Gut und Böse ein Fatum zu sein. Ein Fatum der Welt der Fantasie, wohlgemerkt.
Gefürchtet haben wir uns in der Erinnerung einmal bei "Struwwelpeter" und bei den "roten Schuhen".
Und ganz sicher, ein wenig, vor der verwirrenden, da un-(be)-greifbaren Realität!




Wer nun wieder einmal Lust auf "Max und Moritz" hat, voila --->

Und hier das weise Wikipedia zu diesem Buch und seiner Rezeption ---->

Erst ab 14 Jahren darf man ab 22.05. zu "Max und Moritz" ins Berliner Ensemble.
Wir sind sehr gespannt, was der verspielte Regisseur Antu Romero Nunes daraus macht--->

Mittwoch, 17. April 2019

Theater, Theater und 1 Film...





Volksbühne Berlin


Und es ist angerichtet, vorerst, in der Volksbühne Berlin. Klaus Dörr, der als Provisorium gerufen wurde und nun die Intendanten-Rolle bis 2021 (?!) immer selbstbewusster nutzt, um aufzuräumen (mit den Schulden z. B.), aufzubauen ( 1 Ensemble, inzwischen bestehend aus 17 weitgehend unverbrauchten Gesichtern z. B.) und auszurufen, wohin als Nächstes die Reise des Koloss Volksbühne gehen soll: "Geschichtsmaschine" heißt der Fahrplan.

 An der Seite des Kapitäns Dörr stehen nun die Geschäftsführende Direktorin Nicole Lohrisch, die Haus-Regisseurin Lucia Bihler und als 1. Offizier und Schauspieldirektor der Träger eines klingenden Namens, nämlich Thorleifur Örn Arnasson. Letzterer begeisterte zuletzt in Hannover mit seiner Version der EDDA und erhielt in 2018 den Theaterpreis DER FAUST.
Gedeckt wird der Tisch für die Gäste der kommenden Spielzeit unter Anderem mit Arnassons Nacherzählung der Odysee, Inszenierungen von Voges, Pucher, Bauer, Kennedy u.a. sowie Lucia Bihlers Feminismus-Spezial über weibliche Lust und Iphigenie im Callcenter.

Frischer Wind also, der da die Segel bläht, Dörr hat handfeste Arbeit geleistet (ein Theater ist wieder einsatzfähig) und den Mut bewiesen, ohne viel Brimborium und ohne weiche Knie, ziemlich rasch zudem, etwas zusammenzustellen, das (insgesamt durchdacht und stimmig) für Neugier sorgen kann. Ach ja, und echte Dramaturgen gibt es auch wieder an Bord. Dass bereits ein bisserl Gegenwind pfeift und hie und da kritisch gefleddert wird, ach, was sind das für Peanuts gegen das, was die Volksbühne hinter sich hat. Ahoi und wohl bekomms!

3 x Schaubühne


Ach ja, Theater, Theater! Die Abende sind noch nicht lau genug gewesen, das Angebot zu vielfältig, in FIND tummeln sich genügend Interessierte und für den Mai benötigt es noch Energien, da geben sich Autorentheatertage und das Theatertreffen die Klinke in die Hand. Thomas Ostermeier bekam für 2 seiner aktuellen Inszenierungen wenig Begeisterung, zu glatt sei das eine, zu schmerzfrei das andere ("abgrund" und "Ein Volksfeind") und Michael Thalheimers aktuelle Vorliebe für Shakespeare trifft wahrlich auf keine Gegenliebe in der Kritiker-Zunft.

Ach, das tun wir uns nicht an, das sitzen wir aus, so dachte die Paganini´s-Redaktion. So ist das eben mit den Ausreden, die sind selten sonderlich schlüssig, dafür aber dienlich. Und Letzteres manchmal sehr. Nach der Ausrede für ein Versäumnis, folgt nämlich oft schon die Suche nach einer (bequemeren) Alternative. Schaubühne sollte es irgendwie sein. Aber ohne Anfahrt und Kokolores. Dafür mit der Nina Hoss. Und mit dem Mark Waschke. Und natürlich auch mit Ungetüm Lars Eidinger. Direkt zu uns auf das Kanapee. Oder so. Und wir wurden fündig. Und noch mehr.

Ein tatsächlich hiermit wärmstens ans Herz gelegtes Kino-Kleinod kam per Video-Stream zu uns: "Fenster zum Sommer". Zwar fehlt Ursina Lardi, um die Schaubühnen-Stars zu komplettieren, dafür gibt es als Bonus eine Fritzi Haberlandt, die mehrere Tode stirbt. Und eine Nina Hoss, die ihr spannendes Gesicht zum glühen bringt, wie selten. Z. B. bei der 1. Begegnung mit ihrem Schicksals-Menschen (Waschke, oh, welch schönes Paar!) in der Wiederholungsschlaufe. Oder bei der Konfrontation mit dem Unerklärlichen namens DETERMINATION. Und bei ihrem Kampf um Selbstbestimmung und das Leben ihrer Freundin. Ein verzaubernder Genre-Mix (Zeitreise, Melodram, Scifi) ist da zu bewundern, der lange nachweht, in der Seele und Freude (im besten Sinne) hinterlässt. --->

Lanthimos und das Kosslick-Motto


Ein roter Schal allein, macht noch keinen Kosslick. Wir sind bekennende Gewohnheitstiere. Seit 18 Jahren wärmte der Schal den Hals des Direktors des Berlinale-Zirkus, nun hängt statt dessen das Verdienstkreuz 1. Klasse auf seiner Brust und der Dieter Kosslick ist dennoch weg! Nie mehr ein Motto, auf das sich die hungrige Meute der Presse-Menschen stürzen könnte. Nie mehr eine Agnes Varda zu Besuch in unserer Stadt. Nie mehr die Berlinale, wie sie (für uns subjektiv gefühlt "seit immer"!) gewesen ist. Winkewinke und Good Bye, vorbei ist vorbei. Ach Herrjeh, Vanitas! Alles ist eitel und vielleicht ist das auch gut so.

Die neue Doppelspitze bekräftigt, dass das Kino-Festival auch weiterhin Publikums-Festival bleiben soll. Aber zunächst einmal örtlich dezentralisiert (über die gesamte City verteilt) oder so, wir wollten das gar nicht wissen, huhuhu, und wissen es auch nicht, wie soll das denn gehen, da wird doch alles anders, ohgottogott, huhuhu..! --->

Genug gejammert. Halten wir uns einfach fest. Fest am Bleibenden. Wir wissen nun alle was ein "Systemsprenger" ist, Kosslick sei gedankt und wir haben begriffen, dass "das Private politisch" ist. Und auf unserer detektivischen Suche nach der Bestätigung des allerletzten Berlinale-Mottos aller Zeiten (huhuhu) und auf der weiteren Suche nach der intensivst-möglichen Umsetzung desselbigen, landeten wir bei "Dogtooth" und seinem Macher Giorgos Lanthimos. Und das wiederum ist sehr lohnend gewesen. Wenngleich nicht unbedingt schön. Und mit Sicherheit ganz und gar nicht herzerfreuend. Aber dennoch.

Lanthimos, dessen Film "The Favorite" bei den diesjährigen Oscars hoch gehandelt wurde (weniger reich bedacht, am Ende) hat mit "Dogtooth" das Wunder vollbracht, einen der unsympathischsten, kältesten und sezierendsten Filme der Filmgeschichte zu erschaffen. Perfekt inszeniert, wird hier eine faschistuid funktionierende, das Böse hervorbringende Eltern-Welt vorgeführt, die noch Lars von Trier das Fürchten lehren könnte.
Unbedingt sehenswert!


Montag, 25. März 2019

Der wunderbare Buchanfang: XXIV. Teil


"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"

(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.

Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Diesmal ein Buch, wie es melancholischer und skeptischer kaum denkbar ist:

Roger Willemsen, Der Knacks

 Alle wurzeln im Märchen: Ich war einmal. Eine Reihe von Wegmarken später, und alles steht fest und muss nicht mehr erzählt werden: "und wenn sie nicht gestorben sind..." Wie jemand wurde, das erklärt er anhand von Ernstfällen - als sei ein Individuum erklärbar aus der Summe seiner Narben. Doch dann ist da noch eine andere Biographie: "Irgendetwas " hat sich gewandelt, sagt man, "irgendwann" war es da, "irgendwie" von innen heraus, gelöst vom isolierten Anlass, nicht logisch und auch nicht im Gegenteil psychologisch. Man blickt zurück und weiß nicht recht, was es war und wann es geschah und woraus genau es bestand und wohin es führte, aber man sagt: Nie mehr fühlte ich wie damals...


Petit Pati präsentiert den "Knacks"


Das ist der Knacks. Er lässt sich nicht einfach greifen und bearbeiten und dann ist er wieder weg. Der Knacks schleicht sich ein und er nistet sich ein und er breitet sich aus, in der Psyche, in der Betrachtung, im Denken, ja, der Knacks prägt von diesem einen Moment an, in dem er - unmerklich fast - geschieht, das weitere Leben eines jeden Einzelnen. Der Knacks ist individuell und doch universal, in jedem Leben zu finden und doch nicht kollektives Geschick. 

Der Knacks ist nicht mal eben so einzufangen, da braucht es schon 290 Seiten, die zunehmend den Ernst der Lage verbreiten, um von meisterlichem Geiste be- und umschrieben zu werden. Roger Willemsen gewährt in diesem Buch einen Blick in seine melancholische, wenn nicht gar tieftraurige Seelen-Seite, macht aber nie vergessen, dass er auch schreibend ein brillanter Conferencier ist. So reiht sich im Knacks Bonmot an Apercu, dass es eine reine Freude ist, obwohl doch voll der herzzerreißenden Tristesse. 
Vorsicht dennoch: der Knacks  ist hoch ansteckend!

  

Sonntag, 3. März 2019

das wunderbare erbauungsstück:

der tempelherr von Ferdinand Schmalz

(Die Chefredakteurin berichtet von der Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin)


PlakatDT@Paganini´s

Was sind das für Theaterstücke, was für Inszenierungen, die mich nicht sofort wissen lassen, was ich von Ihnen halte?
Da gibt es doch sonst diese Sachen (und ich nenne das jetzt einfach mal so, bezogen auf Theater-Erfahrungen), die mich mit sich reißen, ob ich will oder nicht und diese Sachen, die mir nichts zu sagen haben, aber dennoch faszinieren und diese Sachen, die mich abstoßen und dennoch auch anziehen und dann, natürlich, diese Geschichten, die mich langweilen und/oder die ich einfach schlecht gemacht finde. Da weiß ich doch, am Ende des Abends, was ich fühle, nachdem ich das gesehen habe, das weiß ich doch meist schon, wenn ich in meinem Theatersitz versinke und mich auf die Bühne konzentriere. Das weiß ich in der Regel (subjektiv für mich selbst) sofort, dieses: Daumen hoch, Daumen runter.
Dieses "Gefällt" oder "Gefällt halt mal nicht".

Hier und Heute weiß ich erst einmal gar nichts. Und später auch nicht.

Nach ungefähr 15 Minuten sehe ich mich an den Gedanken ausgeliefert (das kann passieren, auch im tollsten Stück Theater), dass ich fürchte, unlustig zu werden und mich für den Rest der Aufführung zu mopsen. Dann kommt just in diesem Moment Spannung im Theater-Geschehen dazu.
Der Ferdinand Schmalz hat an diesem Abend einige Spannungs-Steigerungen eingebaut - sprachlich und inhaltlich - und ich langweile mich nicht mehr. Es genügt nur nicht.
Oder besser: Der Abend überzeugt mich nicht.

Mir fehlt absolut jede Einsicht, worin ich dem Ensemble oder der Regie von Philipp Arnold einen Vorwurf machen könnte. Ich denke nur leider während der Vorstellung immer mal wieder, dass ich diesen Text vom Ferdinand Schmalz viel lieber als ein Stück Prosa in einem dünnen, bibliophilen Bändchen lesen würde als zuzusehen, wie dieser Text letztlich krampfhaft versucht, für das Theater gemacht zu sein.

Um es noch profaner auszudrücken: Mir fehlt Heinar, der titelgebende Tempelherr, dieser Außerirdische, dieser Außenseiter oder auch Ausnahmemensch (vielleicht schlicht: dieser Künstler), von dem der ganze Abend durch einen Chorus aus Ehefrau, Schwiegervater, Freunden und Schaulustigen erzählen lässt, der allerdings selbst nicht für Berührung sorgen darf.
Weil Gottvater und Erfinder von Heinar - also der Autor - das so beschlossen hat.

Dieser, natürlich gewollte und reflektierte Kunstkniff, führt wohl zu einem intelligenten Blick auf die Herrschaft der Öffentlichkeit und die Diktatur gesellschaftlicher Erwartungen (im Sinne der Konformität), aber es schmälert gewaltig die dramaturgische Spannung des Ganzen.

Man stelle sich eine antike Tragödie vor, in der außer dem Chor tatsächlich kein Tragöde auftritt.

Diese Leerstelle muss ziemlich fragwürdig und gewollt das "Kind" des "Helden", ein Zwitterwesen aus Mensch und Insekt, füllen. Einerseits verwandt mit Ikarus und Co, ähnelt es gleichsam Gregor Samsa. Allerdings ist auch von Diesem nur in der indirekten Rede zu hören.
Was das für eine Kreatur ist und warum sie ist, wie sie ist, steht nicht zur Debatte.

Und warum kann ich nun keine Kritik schreiben, in der ganz naiv steht, dass mir der Abend nicht gefallen hat?

1.) Weil der Text grandios ist, in seiner Intelligenz, seiner Tiefe, in seiner Vielschichtigkeit und seinem Witz.
Wie bereits gesagt, das wäre als Prosa der 2. Bachmann-Preis für Ferdinand Schmalz.

2.)Weil das Ensemble und der Regisseur das Bestmögliche ermöglichen.
Dass der Heinar fehlt, ist ja nicht deren Schuld!

Und vielleicht fehlt er ja auch nur mir, der Heinar, und sonst Niemandem.
Man wird sehen!
Am Ende des Abends jedenfalls einhellig Jubel von Seiten des Publikums!
(Und ein unsagbar sympathischer F. Schmalz, mit sehr großen Verbeugungen)





Wir waren HIER--->


WIKIPEDIA zum Begriff Erbauungsliteratur. (F. Schmalz spielt mit diesem Begriff und nimmt ihn wörtlich):
Der Begriff Erbauungsliteratur, der erstmals um das 14. Jahrhundert erwähnt wird, beschreibt ursprünglich volksnahe Schriften mit religiöser Motivation. Bei der Erbauungsliteratur handelt es sich nicht um theologische Literatur, da sie keine wissenschaftlichen Diskurse verfolgt und keine dogmatischen Absichten besitzt. Vielmehr war mit den Veränderungen der Neuzeit eine Konzentration auf die Innerlichkeit zu verzeichnen, die sich durch gesteigerte Frömmigkeit hervortat. Es handelte sich um eine Anleitung für ein tugendhaftes Leben, die emotional den Geist erbauen sollte.