Paganini´s (Berlin)
...Der Kater hat´s geflüstert: Was uns auf unseren Streifzügen durch das kulturelle (Berliner) Leben so auffiel...
Paganini´s...
"Es lebe die totale Subjektivität des Feuilleton!"
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Freitag, 1. Juli 2022
Aus der wunderbaren Kladde der Paganini´s-Redaktion!
Donnerstag, 16. Juni 2022
Der wunderbare Buchanfang: Teil XXXVIII
"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)
Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.
Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:"Der wunderbare Buchanfang!"
Diesmal ein Buch, in dem es um Tod und Leben geht.
Dieter Wellershoff, "Blick auf einen fernen Berg"
DIE TODESNACHRICHT
Auf der Todesanzeige meines Bruders stehen zwei Zeilen eines Gedichtes, das ich vor vielen Jahren geschrieben habe. H., die Lebensgefährtin seiner letzten Jahre, hat den Text für ihn ausgewählt:Tod mit seinen schwarzen Lippenträgt in der Hand eine singende Amsel.Eigentlich war das immer mein Text gewesen, mein persönlicher Glaubenssatz, allen meinen Erfahrungen eingeritzt wie eine geheime Signatur. Aber mein Bruder war vor mir gestorben, obwohl er jünger war. Es war die falsche Reihenfolge. So fand ich, daß ich ihm den Satz überlassen mußte.
Es kommt nicht so oft vor, dass wir, die Paganini´s-Redaktion, ein Buch in die Hand bekommen, morgens (noch vor Beginn der Arbeit) zu lesen beginnen und es erst spät in der Nacht aus der Hand legen, nämlich dann, wenn der letzte Satz in uns verklungen ist. Natürlich ist es ganz genau so, auch diesmal, nicht zugegangen (dazwischen mussten wir hier und da ein wenig werkeln), doch tendenziell eben schon. Und das will was heißen!
"Blick auf einen fernen Berg" ist, auch weil autobiografisch, nicht das sprachlich kunstvollste Buch von Dieter Wellershoff, es wimmelt von Wiederholungen in den 9 Kapiteln, aus denen diese Schilderung eines qualvollen Sterbens des jüngeren Bruders besteht. Doch es ist eines seiner intensivsten, gerade weil intimsten, Bücher geworden. Dies vorab.
Thematisch beschränkt sich der Autor auf die Skizzierung des Lebens des Bruders, der nie die Wonne eines genussvollen Hier und Jetzt kennen lernen konnte, sondern sich, immer gehetzt und getrieben, auf ein fernes, unbedingt zu erreichendes Erfolgs-Ziel hin bewegte, das er verschwommen in baldiger Zukunft vermutete. Kurz vor Erreichen einer dieser anvisierten Ziel-Linien, die allerdings weitere Kraftanstrengungen nach sich gezogen hätte, gibt der Tod mit Nachdruck "seine Visitenkarte ab". Der Bruder ist erkrankt, ihm bleiben unbehandelt 2 Wochen an Leben oder die Tortur von 3 Chemotherapie-Behandlungen mit ungewissem Ausgang. Der Bruder entscheidet sich für diesen letzten "Versuch".
Dieter Wellershoff, der 5 Jahre ältere, inzwischen längst berühmte Schriftsteller, erfährt von der niederschmetternden Diagnose und besucht den Bruder, der einem Spielsüchtigen ähnelnd, mal als millionenschwerer Unternehmer auf der arbeitsreichen Sonnenseite lebte, bald aber durch riskanteste Geschäfte Armut und Ansehens-Verlust ertragen musste. Gerade hat er sich wieder einen Namen in seiner Branche machen können, eine neue Lebenspartnerin gefunden (sich allerdings durch den Bau einer exklusiven Wohnung und eines absurd luxuriösen Büros bereits wieder in Schwierigkeiten bugsierend), da finden die Ärzte den Grund seiner körperlichen Schwächeanfälle: Leukämie im Endstadium.
Im Mittelpunkt des Berichts stehen nun die Begegnungen der Brüder angesichts dieses schicksalhaften Einbruchs, meistens in der Klinik und am aseptisch weißen Bett des Kranken stattfindend, der sich psychisch zwischen Phasen aus Hoffnung, Verzweiflung, Verdrängung und Wut bewegt. Auf der anderen Seite befindet sich Dieter Wellershoff, ringend um Fassung und taktierende Konversation, zerrissen zwischen brüderlichem Mitgefühl, Schuldgefühlen und Zorn. Zwei Geschehnisse sind bezeichnend für die Nähe und gleichzeitig die unterschwellige Feindschaft der Brüder.
Der erste Krankenbesuch endet mit einem Nervenzusammenbruch des Erkrankten, da der "große Bruder", angesprochen auf seine Rede bei einer Preisverleihung, mit den auftrumpfenden Worten "Ich habe rauschenden Beifall bekommen" antwortet. Schmerzhaft der Ausbruch tiefsten Neids des Bruders, verräterisch allerdings auch, Wellershoffs prahlerische Formulierung. Hier zeigen sich tiefe Rivalität, mangelnde Empathie oder Entfremdung. Eine fast mystisch anmutende Verbundenheit offenbart sich dagegen, als Dieter Wellershoff genau in dem Moment (weit entfernt vom Sterbenden) die partielle Erblindung seiner Augen erfährt, als die Brille des Jüngeren im Krankenzimmer nicht mehr auffindbar ist und dies so bleiben wird. Allerdings wird die Brille zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr gebraucht werden.
Die Widersprüche dieser Beziehung finden sich gespiegelt in der Erwähnung der äußeren, fast zwillingshaften Ähnlichkeit der Beiden, bei großen Unterschieden in Lebensausrichtung und Begabung. Letztlich entdeckt Wellershoff eine Um-Schreibung der Geschichte von "Kain und Abel" in seiner komplizierten Bruderschaft. So brillant Wellershoffs psychologische Zeichnungen auch sind, in diesem autobiografischen Werk bleibt er weit schamhafter und unkonkreter in der Benennung biografischer Details oder Rollen-Prägungen der Kindheit, als in seinen fiktiven Romanen üblich. Im krassen Gegensatz zu dieser Diskretion erstaunt allerdings eine ungezähmte, nichts beschönigende Offenheit bezüglich der eigenen Gefühlswelt angesichts des Sterbenden. Auch in der größten Erschütterung durch den Tod des Bruders, kämpft er für sich und sein Glück, indem er den inzwischen Toten nahezu zwingt, ihn, den Lebenden, los zu lassen.
Durch das immer tiefer werdende Dunkel des Todes, der das Individuum unvermeidbar am Ende um alles beraubt, tritt das LEBEN für den Autor immer heller und unverstellter in den Vordergrund. Er darf weiter leben, welche Gnade, angesichts des endgültigen "Scheiterns" des Bruders. Es ist eine reine (amoralische) Wucht, mit der diese Erkenntnis in diesem Buch wütet oder beglückt und die das Buch zu einer gnadenlosen, doch in tiefster Tiefe berührenden Lektüre werden lässt.
Jeder, der bereits durch Erfahrungen mit dem Tod gezeichnet wurde, wird sich (mal auf der einen, mal auf der anderen Seite) wiedererkennen. Der Tod ist von Anfang an nur aufgeschoben, am Ende sicher. Das Buch macht das nicht zwingend tröstlicher. Dafür auf ergreifende Weise greifbar.
Große Lese-Empfehlung!
Mehr zum Buch ---> HIER
Samstag, 21. Mai 2022
Aus der wunderbaren Kladde
Regengedicht
Ein Regengedicht steht vor der Tür, ich mach nicht auf, wohlwissend, dass ich dann nass würde, nass, wie eine nasse Ratte oder wie Du, als ich Dich im Regen stehen ließ. Tanz den Regenwalzer, immer schneller, immer im Dreivierteltakt, tanz den Regen platt, bis das Rinnsal unter meinen Füßen landet, eine dünne, dunkle Spur nach irgendwo ...
(... jetzt mit dem Finger schnippen und denken, die Sonne scheint. Kein Regengedicht, dafür aber: Happy End!)
Das UNWETTER ist da. |
Mittwoch, 23. März 2022
Der wunderbare Buchanfang: XXXVII.Teil!
"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)
Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.
Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:"Der wunderbare Buchanfang!"
Diesmal ein Buch, waghalsig und verblüffend, wie die Katze im Sprung.
Brigitte Kronauer, "Die Tricks der Diva"
Im Gebirg`
Hornochse! Das böse, sehr böse Wort. Immerhin ist Schluß mit der Stolperei. Er hat die tückischen Baumwurzeln hinter sich. Zwischen den Felsbrocken, auf dem steilen, aber sonst ganz braven Weg darf er sich fühlen wie ein Tier, das für seine lauernden Muskeln endlich Auslauf bekommt, der kleine Lackaffe.
Bon Boncuk, der Kater, präsentiert B. Kronauer
Allein der Titel "Die Tricks der Diva" würde uns, der Paganini´s-Redaktion, genügen, um vor Begeisterung das Schnurren im Chor zu beginnen. Und dies kleine Buch, voll mit sehr kurzen Kurzgeschichten, hat wahrlich noch vieles zu bieten, das diese Titel-Entzückung ins Unendliche potenziert. Dazu nämlich ein zweites, kleines Buch, voll mit ebenso kurzen Kurzgeschichten, genannt "Die Kleider der Frauen".
Darinnen, in diesen beiden Sammlungen kurzer, präziser, unvergesslicher und unglaublich glaubwürdiger Geschichten, finden sich weitere Überschriften, die zum Hinknien schön, schon als Titel wie Miniaturen zu lesen sind: Zum Beispiel "Stille mit finsterer Figur" oder "Wirre Witwen, wissende Witwer" sowie auch "Fräulein Welziehn im Reich der Fische".
Die konkrete, schillernde, Fantasien anregende und gleichsam sich klaren Vorstellungen entziehende Wirkung, findet sich ebenso in der literarischen Ausmalung der dazu gehörigen Short-Story wieder. Nichts scheint gesichert, der Leser oder die Leserin fühlen sich in der ständigen Gefahr, aufs Glatteis geführt zu werden, das eigentlich (bei genauer Betrachtung) überhaupt nicht (und nie) vorhanden war. Ätschbätsch! Freut sich die Kronauer in ihrem Schreiben. Ätschbätsch! Ich bin doch gar nicht so böse (wie IHR denkt!).
Schaurig-schön zeigt sich ein unterschwelliges, nicht zu erklärendes Grummeln in den gesammelten Geschichten der "Tricks der Diva", das wie ein heranziehendes Gewitter eine Spannung in der Atmosphäre, im Ton der jeweiligen Erzählung entstehen lässt, aus dem sich weder Leser noch Protagonisten befreien können. Auch dieses deutet sich nur an und entlädt sich nicht wirklich. So sind sie, die feinen (abgefeimten) "Tricks". Artifiziell wie die Natur (das Leben). Nicht greifbar hinein ziehend in dieses Irgendwas und im Irgendwo ausspuckend, als sei nichts passiert.
Ein Blick in den Spiegel genügt dann manchmal. "Mir würde gefallen, wenn man die Sammlung als sehr lückenhafte Biographie in autobiographischer Form über eine gewisse unzuverlässige Rita lesen würde." "Die Kleider der Frauen" sind mehr als nur Beiwerk. Sie zeugen von Charakter.Nicht nur von "Ritas" aufsaugenden und wieder ausspuckenden Blicken, sondern auch vom "Charakter" des Angedeuteten, des Erinnerten einer Begebenheit. Alles changiert wie ein seidener Stoff, die Finger gleiten darüber, benommenes Schwelgen setzt ein - schon ist es wieder vorüber - und fast ist nichts gewesen.
Brigitte Kronauer beherrscht die Tricks der Literatur par excellence und weiß um sich. Als Meisterin einer Sprache, die sich was traut und dennoch so lässig bleibt, wie der Kater beim Anblick einer - sich in Sicherheit wähnenden - Maus.
Unbedingte Lese-Empfehlung!
Montag, 14. März 2022
Gibt es ein "nach der Pandemie" ...
... und warum nun Krieg?
Bon Boncuk, der Kater, in der PK zum Thema |
Montag, 21. Februar 2022
Aus der wunderbaren Kladde ...
...der Paganini´s-Redaktion!
@PaganinisBerlin, Richardplatz |
Ein kleiner (Halbkreis aus) Mond wollte mich auf die Schläfe küssen. Er spitzte die Lippen und meine Schläfe wich furchtsam zurück, pardon, denke ich und mein Mund gibt ein entschuldigendes Lächeln dazu. Ich kann auch anders, sagt der Mond, nicht grimmig, wird zum kreisrunden Ballon und schwebt ins Dunkel hinauf. Dort schnappt er sich einen kleinen Stern, der entwindet sich und verliert eine Zacke, doch der Mond lächelt nun wie beschwipst am Firmament. "Lieber Stern, komm, küsse meine Schläfe" flüstere ich und schlafe ein.
(Gute-Nacht-Geschichte, Januar 22)
Samstag, 19. Februar 2022
Der wunderbare Buchanfang: XXXVI. Teil
"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)
Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.
Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:"Der wunderbare Buchanfang!"
Heute ein Buch, das rätselvoll und tiefgreifend, dunkle Aspekte der Liebe umkreist.
Per Olov Enquist, "Gestürzter Engel"
Bewahre noch einen der kleinen seltsamen Zettel des Jungen auf. Auf diesem stehen nur vier Wörter:"Hauche mein Gesicht hervor."Ein Gebet?
Erwachte 03:45, der Traum noch immer ganz gegenwärtig. Strich unwillkürlich mit dem Finger übers Gesicht, über die Haut der Wange.War der Antwort sehr nahe gewesen.Stand auf.

Pati, das Katerchen, präsentiert Enquists "Gestürzter Engel"
Drei Liebesgeschichten (bei genauem Hinsehen sind es noch mehr) finden sich in diesem dünnen, 110 Seiten umfassenden Buch. Und doch ist das kein Buch, geeignet zum Verschenken an frisch Verliebte. Und es ist auch kein Buch, das sich nacherzählen ließe, indem man von den Protagonisten berichtet. Die da wären das "Monster" Pinon, aus dessen Stirn das Gesicht von Maria gewachsen ist, deren Lippen stumm, dennoch in seinem Inneren sowohl betörenden als auch zu Tode quälenden Gesang anstimmen können. Und der Psychiater, dessen Frau den Mörder (den "Jungen") der gemeinsamen, kleinen Tochter in ihre Wohnung lockt. Oder die verlassene, psychisch gebrochene Ruth Berlau, die den Ton-Kopf des Liebsten (Bert Brecht) in einer Schachtel aufbewahrt und in seinem Innern die tröstende Whiskeyflasche.
Nein, was so berichtet, als flaches Sammelsurium grenzwertiger, unglücklicher Beziehungs-Verstrickungen daher kommt, wird von Per Olov Enquist zu einer einzigen, großen Beschwörung des "Menschlichen", das sich an dessen "Grenze" offenbart. So sind es die sich wiederholenden Beschwörungs-Formeln und Symbol-Bilder, die dies Buch zu einem Ereignis werden lassen. "Hauche mein Gesicht hervor" und schaue mich in der Tiefe. So lautet die Formel der Sehnsucht. Enquist folgt diesem Wunsch, sucht im Kreisen über dem Abgrund nach der Liebe:"Man kann Liebe nicht erklären" schrie sie. Aber wenn man es nicht versucht, wenn man es nicht versuchte, wo ständen wir dann?"
Ein tief greifendes und ergreifendes Buch, das einen zunehmenden Sog entwickelt, dem man sich überlassen sollte. Lesenswert!
Pati, das Katerchen, präsentiert Enquists "Gestürzter Engel" |