Benns letzte Wochen ...

Vorboten des Todes kamen im siebzigsten Lebensjahr!

Gottfried Benns Aufenthalt in Schlangenbad 



*2.Mai 1886  +7. Juli 1956 @CC

Bereits Wochen vor seinem Tod waren die Schmerzen so unerträglich geworden, dass Gottfried Benn das Schreiben vermied. Die todbringende Krankheit war noch nicht diagnostiziert, ein Kuraufenthalt in Schlangenbad sollte die rheumatischen Symptome lindern, von hier aus schrieb er seine letzten Zeilen, die das Ende bereits ahnend beschwören. Dass er nicht älter als 70 Jahre alt werden würde, hatte Gottfried Benn seinen Freunden gegenüber seit jeher mit halsstarriger Überzeugung erklärt, ungeachtet der robusten körperlichen Konstitution noch im 69. Lebensjahr. Die Vorboten des Todes kamen pünktlich, der 70. Geburtstag mit seinen Ehrungen und Verpflichtungen wurde tapfer, wenngleich mühsam, überstanden. Zunehmend plagten ihn Rückenschmerzen, die man zunächst Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule zuschrieb. Die Todeskrankheit hatte Benn äußerlich noch nicht gezeichnet, erst als innere Blutungen eintraten, wurde der Patient mehrere Tage hindurch im Berliner St. Gertrauden Krankenhaus untersucht. Die Ratschläge der Ärzte irritierten und verärgerten Benn, der selbst Mediziner war: Salzlose Kost, kein Bier, keine Zigaretten, nicht die allabendlichen Aufenthalte in der geliebten Stammkneipe Dramburg. Dafür sollte der Dichter künftig am Stehpult arbeiten, regelmäßig einen Masseur konsultieren („ …dass es so Brutales gibt, ahnte ich nicht, der riss mich auseinander, fuhr wie ein Trecker über den Rücken...“).
Was ihm jedoch fehlte, vermochte keiner anzugeben, zu den Schmerzen hieß es: Ätiologie unbekannt.

 Seinem Freund Walter Lennig gegenüber klagte er über Schlaflosigkeit, über den gehassten Zustand des Altwerdens. Die ratlosen Ärzte rieten zu einer Kur in Schlangenbad, Orts- und Luftwechsel verhießen Erfrischung und konnten zumindest nicht schaden. Da der Haut- und Geschlechtsarzt Benn den Klimawechsel selbst als enormen Heilfaktor ansah, packte seine Frau - die Zahnärztin Ilse Benn, geborene Kaul - die Koffer und begleitete ihren Mann ins Schlangenbader Kurhaus. Per Flugzeug von Berlin nach Frankfurt, dann weiter in den Taunus - die Strapazen der Reise wurden von Gottfried Benn schwer verkraftet. Die erste, nur mit großer Mühe entzifferte Nachricht aus Schlangenbad vom 14. Juni 1956 erschreckte Lennig eher, als dass sie ihn beruhigte: „… die Sache hier verlief leider ganz anders, als wir hofften. Als ich halbtot von Schmerzen hier ankam, warf ich mich aufs Bett, bat einen Badearzt zu mir, ein sehr netter, sympathischer Mann, der sah meine Dokumente aus Berlin an, hörte meine Geschichte an, und sagte: lieber Freund, Sie sind 4 Wochen zu früh gekommen, völlig ausgeschlossen, bei einem so akuten schweren Anfall von Rheuma und Neuritis und so hoher Blutsenkung irgendeine balneologische Maßnahme zu ergreifen, würde die Sache nur verschlimmern. Sie bleiben fest im Bett liegen und bekommen jeden Tag eine Spritze Irgapyrin von mir.“ 

Nach dieser Schilderung entsteht der Eindruck, als handele es sich bei dem erwähnten Badearzt um einen energischen Menschen, der sicher weiß, was zu tun oder zu lassen sei. Er allein stellt die Diagnose, befiehlt, was an Maßnahmen zu ergreifen ist. Doch eben jener Badearzt, der heute pensionierte Dr. Gerhard Fromme, berichtet in anderem Tenor im Heimatjahrbuch 1988 des Rheingau Taunus Kreises, nach welchen Kriterien der Patient Benn behandelt wurde. Dieser habe sich dem Arzt sehr selbstbewusst vorgestellt mit den Worten: „Sehen Sie, ich bin nun ein berühmter Mann!“ Des Weiteren befahl der populäre Kurgast geradezu, so Frommes Schilderung, die Art der Behandlung. Der Badearzt erinnert sich, dass Gottfried Benn aufbauende Hormoninjektionen vorschlug. Auffallend sei gewesen, wir rührend Ilse Benn ihren Mann während des Schlangenbader Aufenthaltes umsorgt habe. Das war nicht immer ein erfreulicher Dienst, denn die Schmerzen, unter denen Benn ständig litt, machten ihn reizbar und im Verhalten zu anderen oft ungerecht. „Ilse Benn hielt stets die Hand ihres Mannes während des schmerzhaften Spritzens, war bemüht, durch heitere Gespräche die drückende Atmosphäre zu erhellen“.
Dr. Fromme fühlte sich, glaubt man seinem Bericht, immer wieder von Benns Persönlichkeit angezogen und fasziniert. Dennoch konsultierte Er diesen nicht mehr als zweimal pro Woche, denn das unangenehme an diesen Besuchen war, dass Gottfried Benn dem Arzt jedes Mal einen Zehnmarkschein in die Hand drückte. Um nicht den Eindruck zu erwecken, dass es der finanzielle Anreiz sei, der Fromme zu seinem Patienten zog, vermied Jener weitere Konsultationen, die eventuell einen genaueren Aufschluss über die wirkliche Krankheit hätten geben können. Wenn Fromme das Geld zurückweisen wollte, reagierte der Kranke „starrsinnig, schließlich wütend und verwies auf die damals tatsächlich nicht gute finanzielle Stellung eines Badearztes“. Trotz dieser temperamentvollen Ausfälle erschien Benn dem jungen Mann als ein „sehr empfindsamer manchmal auch empfindlich reagierende Mensch, sehr ausdrucksstark im Gespräch, manchmal lyrisch gestimmt“.

Diesem ging es zusehends schlechter. Er schrieb an Lennig: “Habe jetzt 7 Spritzen ohne eine leise Besserung, die Schmerzen sind enorm. Esse im Bett, da ich im Restaurant gar nicht sitzen kann, war noch keinen Schritt aus dem Bett. Dazu das Wetter. Regen, Nebel, Kälte, eine ganz desolate Lage. Aber wo soll ich hin? Dies ist das erste Wort das ich schreibe … bewachen Sie Dramburg! Selige Erinnerungen an Dramburg!“ (Dramburg, das gemeinsame Stammlokal.) 

Da der dreiwöchige Kuraufenthalt in Schlangenbad bei Gottfried Benn nicht positiv anschlug, verließ er mit seiner Frau am 28. Juni 1956 das Kurhaus. Dr. Fromme sah ihn noch, wie er aus dem Krankenzimmer kam: „Am Ende des langen Hotelkorridors schlurfte er, von seiner Frau mehr getragen als nur gestützt, mit unsicheren Schritten zum Ausgangpunkt.“
10 Tage später, am frühen Morgen des 7. Juli 1956, starb Benn in den Armen seiner Frau, wie kurz zuvor durch Röntgenaufnahmen festgestellt werden konnte, an einem Krebs der Wirbelsäule. In Berlin hatte Gottfried Benn längst keine Kraft mehr, um schreiben zu können. Starke Schmerzmittel verhalfen zu den wenigen täglichen gerade noch ertragbaren Stunden. Der langjährige Brieffreund, der Bremer Großkaufmann Friedrich Wilhelm Oelze, erhielt 24 Tage vor Benns Tod, dessen letzte schriftliche Nachricht. Der Kartengruß aus Schlangenbad ist tröstlich:

„Jene Stunde … wird keinen Schrecken haben, seien sie beruhigt. Wir werden nicht fallen, wir werden steigen.“

(Der Text wurde 1988 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht. Geschrieben natürlich von der Paganinis-Berlin-Redakteurin. Zur Wiederkehr des Todestags nun hier.) 

 Nachtrag: Wegen der Schmerzen erwähnt G. Benn in einem Brief aus Schlangenbad an Oelze die Absicht, sich vor "einen der großen Reiseomnibusse" zu werfen. Dass ihm dazu die Kraft gefehlt hat, ans Bett gefesselt, wie er war, ist klar. Dennoch zeigt diese Passage, wie groß das Leiden gewesen sein muss.



Quellen:
„Heimatjahrbuch 1988" des Rheingau-Taunus-Kreises
Walter Lennig, „Benn“
Gunnar Decker, "Gottfried Benn – Genie und Barbar"
Gottfried Benn, Friedrich Wilhelm Oelze, "Briefwechsel"

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