Paganini´s...

Motto von Paganini, dem Kater:
"Es lebe die totale Subjektivität des Feuilleton!"

Montag, 6. März 2023

Der wunderbare Buchanfang: XXXX. Teil!

 

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.


Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Erneut ein Debut-Roman, diesmal einer Autorin, im Taunus geboren und nach Berliner Stationen nun in Hannover tätig, die bereits große Auszeichnungen für ihr szenisches Schreiben erhielt und nun ein Buch vorgelegt hat, das uns nahezu sprachlos vor Staunen und in schmerzendem Glück zurücklässt. Gemeint ist:

Katharina Peter
"Erzählung vom Schweigen"

18.03.1908

Nach längerer Zeit verwirklichte sich endlich mein Plan betreffs Anlage eines Familienbuches, in dem jeweils die Häupter der Familie ihre Gedanken, Erlebnisse, Gutes und Böses aus ihrem Leben zu ihrer eigenen und ihrer Nachkommen Erinnerung niederschreiben mögen. Je länger das Buch in der Familie bleibt und je ausführlicher es geführt wird, desto größeren Wert wird es mit den Jahren erhalten. Vorläufig ist der Einblick nur mir und meiner lieben Frau gestattet. Unseren Kindern bleibt es, solange wir leben, ein verschlossenes Buch. Erben soll es einmal derjenige, der nach unserer Ansicht die beste Garantie für eine sorgfältige Weiterführung bietet.


Bon Boncuk, der Kater, präsentiert die "Erzählung vom Schweigen"


Nein, die "Erzählung vom Schweigen" ist kein BUCH und auch nicht ein BuchBuch (siehe vorhergehende Rezension!). Der Debut-Roman von Katharina Peter läuft "außer Konkurrenz", ist ein Solitär in der Literatur und in seiner Einzigartigkeit schlicht großartig. Großartig wiederum ist er NICHT wegen seiner Einzigartigkeit,  sondern wegen seiner Machart, anders gesagt, das Buch versprach uns im  Vorfeld viel und hält noch viel mehr. (" ... 
dringt Peters Debütroman tief in die Geschichte ein und legt die Grundlagen unserer Gesellschaft bloß". Matthes & Seitz)

Springen wir zum "wunderbaren Buchanfang" der Erzählung zurück. Ob fingiert oder real (?!). Es ist sofort ein bisschen wie im Staffellauf. Der/die Beste übernimmt. (Her zeigt er sich schon, dieser Zwang, sich in einer Art Wettkampf beweisen zu müssen.) Was Katharina Peter angeht, ganz egal, ob dieses "Familienbuch"  existiert oder erfunden wurde, sie traut sich und übernimmt die Erbschaft.
Eins ist sofort klar: Das Erbe wiegt schwer und es hat seinen Preis!

"Über das Wegsperren" lautet Kapitel 9. In und mit diesem Kapitel wurden wir, die Paganini´s-Redaktion, ein wenig ungeduldig. Zuvor sich selbst mit wenigen Skizzen-Strichen als "Opfer" schildernd, zeichnet Katharina Peter hier ein derart in Selbst-Skepsis suhlendes Bild von sich, dass wir symbolisch ungeduldig "auf die Uhr" schauten, wann sie denn nun soweit in der Lage sei, ähnlich Demontierendes den "Anderen", also den weiteren Mitgliedern der Familie,  zuzumuten. (Mit dieser Szene entschließt sie sich fast gegen das "Sprechen" und gegen die Autorschaft.)

Und dann, nach diesem Zögern, beginnt die eigentliche "Geschichte vom Schweigen". 
Mit Klaus und Elke, den Eltern: 
"Mütterlicherseits komme ich aus dem Feuer. Einem Zustand chronischer Erregung. (...) Väterlicherseits komme ich aus dem Meer. Einem Gewässer, das Depression heißt."

Das Paar, das rasch getrennte Wege geht, einst für die KPM kämpfte und sich vorgenommen hat, ein zu den eigenen Eltern konträres Leben zu führen, hält sich, durch ein "Anti" einerseits und durch nicht reflektierte Übernahme-Muster andererseits, im Netz der Ahnen. Diese Eltern sind so nur denkbar durch die Großeltern, die "Estors" und die "Schneiders". 

"An den Kindern zeigen sich die Störungen der Eltern."

Die Schilderung dieser Kriegsgeneration ist fabelhaft gelungen. Die Prägungen durch die Nazi-Ideologie, Kriegserlebnisse und später den halbherzigsten Distanzierungs-Versuchen aus diesen Verstrickungen, weist in tiefe Abgründe, die den dunklen Hintergrund bilden, auf dem eine Kindheit zum schlichten Überlebenskampf wird.  Und auch diese  Großeltern "Estor" und "Schneider" haben eine vererbte, prägende Geschichte, die noch weiter in die Vergangenheit zeigt.
... (and so on) ...

"Die Gewalt in unserer Familienkultur zu benennen, sie offenzulegen, ist tröstlich für mich. Weil es ehrlich ist, weil es meiner Wahrnehmung entspricht, statt sie in Zweifel zu ziehen." 

Was aus all diesen Gedanken und Nachforschungen folgt, ist eine Sternstunde deutscher Nachkriegsliteratur. Der Bericht einer (individuellen) Herkunft, schlägt einen weiten Bogen zu den Wurzeln unserer gesellschaftlichen Traumata. Nein, demontiert, verachtet, gehasst, kaputt gelacht, verniedlicht oder dämonisiert wird nichts und niemand. Dafür wird klar gesagt, empathisch nachgespürt und berichtet, was bruchstückhaft zusammengefragt, zusammengeklaubt und zusammengefunden werden konnte.
Alles unter Schmerzen aller Beteiligten.

Und alles in der (hier werden wir gerne enthusiastisch) Schönheit der Wahrheit leuchtend!
""Unsere Geschichte, ist nicht unsere Geschichte", sage ich zu ihr. "Unser Narzissmus ist bloß ererbt." Iris fragt mich, auf welche Blut-  und Boden-Ideologie ich mich eigentlich beriefe, warum ich mich, durch was, mit diesem rechten Arschloch verbunden fühlte. Sie will von einer Verwandtschaft nichts wissen ..."
Am Ende alles gut? Nein, weit entfernt. 
Aber am Ende ist alles gesagt, was vom Schweigen zu erzählen ist.




P.S. Die Redakteurin der Paganini´s sammelt, skizziert, versucht sich seit mehr als 2 Jahrzehnten in einer anderen und doch fast gleichen "Erzählung". Große Dankbarkeit für den Mut von Katharina Peter. Ein ungeheuer starkes Buch, wir nennen es absichtlich nicht relevant, es ist viel mehr als das ...

P.P.S. Die beiden zuletzt im "wunderbaren Buchanfang" genannten Bücher, versöhnen uns gerade in hohem Maße mit der sonst (ebenfalls von uns) gern gescholtenen Literatur-Szene (was auch immer das ist). Merci!

Mehr zum Buch ->HIER

Aus der wunderbaren Kladde...

...der Paganini´s-Redaktion!


@Paganni´s,Gaslaterne Richardstraße


Zu erzählen wären der Anfang und zu erzählen wären das vorläufige Ende und dann wäre noch alles zwischendrin zu erzählen und weil das eine sehr lange Sache würde, erzähle ich es in Bruchstücken und beginne mit dem Anfang des vergangenen Tages, der auch einem vorläufigen Ende gleicht, da er nämlich mit der Tatsache schließt, dass ich einen Artikel über "Gaslighting" gelesen habe und mir dann meine Kindheit einfiel, von Anfang bis Ende und danach die Jugend und dass mir in meiner Familie das Gaslighting von Anfang bis Jetzt als die Normalität des Sonnenscheins untergejubelt wird ...
(Notiz zu einem -seit 2 Jahrzehnten in uns "geisternden"- Buch namens -surprise, surprise- "Gaslighting")


Samstag, 4. März 2023

Der wunderbare Buchanfang: XXXIX. Teil!

 

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.


Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Diesmal der Debut-Roman eines Berlin-Brandenburgischen Autors, der bereits Lit.-Preise mit legerer Geste einstecken durfte und mit Sicherheit weiteren Ehrungen (bei sengender Sonne, vielleicht auf einem Pferd namens "Mannequin") entgegenreitet. Gemeint ist:

Konrad H. Roenne 
"Hoch Mittag"


Prolog, in dem ein Rollator gesucht wird.


Nennt uns Bewohner ...
... und nicht Klienten!
Ihr alle kennt sicher die Stunden, in denen sich etwas ankün-
digt, von dem man aber nicht genau weiß, was - und vor allem: wie
es sein wird. Und falls ihr sie nicht kennt, so werdet ihr sie noch kennenlernen.


Bon Boncuk, der Kater, präsentiert "Hoch Mittag"

Es gibt so unzählig viele Bücher. Gute Bücher. Schöne Bücher. Und nur ganz, ganz selten einmal (bezogen auf Gegenwarts-Literatur) hält man ein BUCH in der Hand. Und "Hoch Mittag" ist ein solches, nämlich ein BUCH oder (wie es unter uns, der Paganini´s-Redaktion, genannt wird) ein BuchBuch. Und das bezieht sich wahrlich nicht nur auf die wunderschöne Aufmachung des knapp 370-Seiten-Buchs, sondern weit mehr noch auf das Buch als solches, also den Text, dessen Sprache man sich getrost vom ersten Wort an überlassen kann, in die man sich einfach nur hineinfallen lassen muss, um eine wirkliche Reise zu tun, eine Reise, die so, ausschließlich durch und mit Literatur zu erleben ist, eine Reise also auf dem weichen Rücken der - durch Höhen und Untiefen hindurch - immer geduldig tragenden Worte. Worte wie Kremserwagen, Worte wie Pferde, junge Worte, alte Worte, ironische, lakonische und poetische Worte ...

Doch nun mal von Anbeginn an: "Hoch Mittag" steht gewissermaßen für eine Utopie. Und wie es manchmal so mit Utopien ist, zu deren Realisierung benötigt es in der Regel wenig zimperliche Mittel. 
Ein gewisser Herr Geißler, ehemaliger Leiter der "Residenz Zentral" ist zu diesen bereit, indem er "seine Alten" aus dem städtischen Moloch Berlin ins brandenburgische Grün eines Reiterhofs lockt und die Gruppe dort, mitsamt des Begleit-Personals, mit Hilfe zweier Gefolgsleute (den "Dicken") in Empfang nimmt (sie in seine Gewalt bringt). Es folgt ein Road-Movie durchs Oderbruch, auf Kremserwagen und hoch zu Ross, irgendwann verfolgt vom aktuellen Geschäftsführer "Axt" (ein Gehetzter auf der Flucht vor sich selbst) und später gar vom LKA. 

Die Erzähl-Perspektive entspringt meist einem recht uneindeutigen "Wir" (dem Kollektiv der alten Herrschaften), ab und an unterbrochen vom "Ich" des Herrn Zimmermann/Axt. (vermutlich also einem nahen Verwandten des Autors?) Auf den Prolog folgt das eigentliche Abenteuer der Erzählung, die Fahrt ins Ungewisse, es schließen sich an: Epilog I und II. Auch wenn die Utopie gestorben scheint, die Legende lebt!  

Es ist ein lakonischer, vordergründig ironisch zwinkernder, manchmal gar schwarzhumorig aus Abgründen winkender Textfluss, der an der Oder entlang führt. Ganz und gar entsprechend dem skurrilen Eindruck, den die "Belegschaft" der städtischen "Residenz" im ländlichen Raum hinterlässt. Passend zu den Schrullen, den irrationalen Sehnsüchten und Ängsten, der, vom langen Leben gezeichneten, Protagonisten. So tragikomisch der Inhalt, so leichthin und amüsant die Schilderung, dass 370 Seiten im Flug zu vergehen scheinen. Zumal immer wieder pausierend, unterbrochen nämlich, durch die zum BUCH gehörenden Exkurse, in denen Tiefe und schillernd Poetisches Raum greifen darf, also Sätze wie diese:

"Der Moment voll Wunder und schrecklichem Zauber, voll Endgültigkeit, wenn zum ersten Mal die Bewegung einsetzt und alles zu beginnen scheint; und wenn sie aufhört zu sein, wenn so vieles endet, wenn wir zu Pflanzen und unsere Helfer zu Gärtnern werden - im Rollstuhl geschoben, wie man die Gewächse im Frühjahr oder im Sommer nach draußen bringt. Von außen ist zu sagen: Was macht das schon! Alles ist Gnade. Von innen ist zu fragen: Das war es nun?" (EXKURS V: MOBILITÄT)

Wer "Hoch Mittag" nicht liest, ist selber schuld!


Mehr zum Buch -> HIER