"Ein Lied, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, höre ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)
Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Wir haben ein Faible für Dramatik wie Donner-Rollen und Blitzeinschlag!
Auch in der Kunst! Also auch in der deutschen Ballade!
Deshalb in loser Folge bei Paganini´s: "Das wunderbare Liedgut!"
Hier und Heute Teil I. mit unserer absoluten No.1, seit jeher und für alle Zeiten:
Gustav Mahler, Der Tambourg´sell
Paganini, der Kater, in der Redaktionskonferenz:
Kinder, habt Ihr sie noch Alle...? Tambourg´sell? Doch nicht der Tambourg´sell! Doch nicht dieses Video! Doch nicht Schlusnus! Das ist doch Weihnachtskladderadatsch! Da fehlt doch der Bumms! Das weht doch Niemanden so richtig an! Da fehlt doch das Tralaleira! Der Takt! Der Tritt! Der Drill! Marsch, Marsch, an die Arbeit, es muss doch - irgendwiiie - weitergeh´n...! Tra-la-liiie...!
Also, Hier und Heute, die zweite No.1 von Teil I. "Das wunderbare Liedgut!":
Gustav Mahler, Revelge
Und nach so viel Hin und Her und Diskussion mit roten Köpfen in der Konferenz,
verabschieden wir uns in die wohlverdienten Weihnachtsferien!
Vergessen Sie nicht den Weltuntergang (21.Dezember!), die Neugeburt (24. Dezember!) und das Ausbreiten der Flügel als Phönix (31. Dezember!)!
Fliegen Sie wohlig hinein ins neue, unbefleckte Jahr!
Es bleibt Alles beim Alten!
Oder...?
Unsere geliebte Schaubühne hat Paganini´s zu sich gelockt - erneut - und gezeigt, dass ihr der
BLACK RIDER im neuen Gewand gut steht!
Aus der Volkssage vom FREISCHÜTZ, die schon Carl Maria von Weber zu der gleichnamigenOper inspirierte, entwickelte US-Regisseur Robert Wilson das Musical THE BLACK RIDER.
Die Songs steuerte Rocklegende Tom Waits bei, und die Texte stammen von niemand geringerem als William S. Burroughs, dem Kultautor der Beatgeneration.
Nun also galoppiert er, neu eingekleidet von Friederike Heller und begleitet von Musikern der Band Kante und The Notwist, psychedelisch wiehernd über die Berliner Bretter!
Black Rider in Delirium!
Der Reigen um Liebe, Tod, Teufelspakt und Teufelszeug zeigt inhaltlich einmal mehr, dass des Schriftstellers Stoff oftmals aus der Erfahrungs-Schatz-Kiste des eigenen Lebens stammt.
Burroughs Fluch und Segen bei der Umarbeitung des "Freischütz" zum "Black Rider", findet sich in der Verarbeitung eines biografischen Traumas: Im Drogenrausch erschoss der Autor seine Frau Joan Vollmer Adams, in dem eigenwilligen Versuch, die Apfelszene aus Wilhelm Tell nachzustellen.
Zitat: Ich sehe mich zu dem erschreckenden Schluß gezwungen, daß ich ohne Joans Tod nie Schriftsteller geworden wäre...!
Im Skript ist es nun die vom Teufel gelenkte Kugel, die zum Tode von Käthchen/Joan führt.
"Und die Kugel trifft immer den, den sie treffen will!"
Ob Kugel in der Flinte, oder Psycho-Kügelchen, das auf der Zunge zergeht, der Schuss aus Teufels-Pakt geht gern daneben! Und macht hier und heute Spass! Und Bumms!
Die Regisseurin befreit sich vom Über-Ich Wilson ohne Krampf.
Als Reminiszenz an den großen Kollegen - natürlich - am Ende der Todes-Schuss dann doch in Zeitlupe.
Ansonsten: Revue, Zirkus, Gaudi, Lasterhöhle, Tom-Waits-Hut und Schrumm!
Es wird gesungen, gezappelt, getanzt und geschwitzt, ein bisserl gegruselt, geneckt und erschreckt!
Und, liebes Publikum, bitte nicht nachmachen!
Denn: So wie "Marihuana immer zu Heroin führt, so sicher landet die Kugel im Herzen der Liebsten"!
Genug gezwinkert!
Nicht geflunkert das Zitat als Spiel im Spiel:
Joan balancierte ein Wasserglas auf dem Kopf. Sie kicherte, wandte den Kopf zur Seite und sagte: Ich kann das nicht mit ansehen - du weißt, ich kann kein Blut sehen!
In diesen letzten Worten steckt wahrlich Voraus-Sicht!
Anchors away with the Black Rider I'll drink your blood like wine I'll drop you off in Harlem with the Black Rider Out where the bullets shine And when you're done you cock your gun the blood will run like ribbons through your hair
So come on along with the Black Rider We'll have a gay old time
Am Ende dieses Abends in Berlin:
Applaus, Applaus! Für ein schwarz-quietsch-buntes Vergnügen!
...ein großes, glückliches Kind, haben wir gedacht, das ist ein großes, glückliches Kind, das im Sandkasten des Lebens Häufchen zusammensiebt und zusammenkloppt und sich daran freut.
Das ist ein Jahrzehnt her, dass wir ihn beobachten durften, bei irgendeinem Theatertreffen, hüpfend, auf und nieder, auf und nieder, dabei wild gestikulierend, vertieft ins Gespräch mit einem Gegenüber.
Das große, glückliche Kind starb dann auch wie ein großes Kind:
Freund Schnitter bittend, er möge ihn lassen, und sich mal umschauen, ob ER dafür nicht einen Anderen als Pfand finden könne.
.
Zum Beispiel Einen, der Waffen an die Bösen verkauft.
Ich bin der Gute, hat er gesagt und gedacht.
Es gibt so viele böse Buben, hat er auch gesagt und gedacht.
Nimm doch Einen von Denen!
Das alles dünn und hustend im TV-Interview!
Aber: ganz ernst!
...und dann hat der Sensemann ihn eben doch geholt!
IHN und keinen Anderen!
Wo, außer in der virtuellen Welt der Fantasie, kann man solche Spiele spielen
- mit dem Fährmann -
solch ein Schachern beginnen, um die eigene Haut zu retten?
"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)
Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet
sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.
Deshalb in loser Folge bei Paganini´s: "Der wunderbare Buchanfang!"
Heute, Max Frisch,
sich wehrend gegen den Fluch der Anderen, "sich ein Bildnis zu machen"!
Der Mann, der fand, die "Wahrheit sei dem Menschen zumutbar"
und der seine Frauen und Freunde literarisch fixierte,
schreibt Stiller,
bekennt seine Schuld und verstrickt sich so sehr!
Und dennoch weist er wütend mit dem Finger auf den Anderen,dessen Spiegel er ablehnt:
Erstes Heft
Ich bin nicht Stiller! - Tag für Tag, seit meiner Einlieferung in dieses Gefängnis, das noch zu beschreiben sein wird, sage ich es, schwöre ich es und fordere Whisky, ansonst ich jede weitere Aussage verweigere. Denn ohne Whisky, ich hab´s ja erfahren, bin ich nicht ich selbst, sondern neige dazu, allen möglichen guten Einflüssen zu erliegen und eine Rolle zu spielen, die ihnen so passen möchte, aber nichts mit mir zu tun hat, und da es jetzt in meiner unsinnigen Lage (Sie halten mich für einen verschollenen Bürger Ihres Städtchens!) einzig und allein darum geht, mich nicht beschwatzen zu lassen und auf der Hut zu sein gegenüber allen ihren freundlichen Versuchen, mich in eine fremde Haut zu stecken, unbestechlich zu sein, bis zur Grobheit, ich sage: da es jetzt einzig und allein darum geht, niemand anders zu sein als der Mensch, der ich in Wahrheit leider bin, so werde ich nicht aufhören, nach Whisky zu schreien, sooft sich jemand der Zelle nähert.
Cover@SuhrkampVerlag
Paganini, der Kater, in der Redaktionskonferenz, begeistert rezitierend:
Sieh, darum ist es so schwer, sich selbst zu wählen,
weil in dieser Wahl die absolute Isolation mit der tiefsten Kontinuität identisch ist,
weil durch sie jede Möglichkeit, etwas anderes zu werden,
vielmehr sich in etwas anderes umzudichten, unbedingt ausgeschlossen wird!
Redakteurin streichelt anerkennend über das schwarze Fell Ihres Redaktions-Chef´s:
Richtig, Kierkegaard wollten wir ja schon lange mal wieder lesen!
- Der immer "unbequeme" Lars von Trier und sein Film Melancholia
- Der immer "Depressive" und seine Verarbeitung von Depression
- endlich einmal Lars von Trier ohne Irrationalität und Wunder-Glauben
und Lars von Trier erneut "verdächtig", weil mit Wagner-Musik traumverloren jonglierend!
Ansonsten: Bilderfluten, Bilderschluchten und Bilder-Mythen!
In diesem Film gibt es keinen spürbaren Gott mehr.
Die Erde wird verschlungen sein und dennoch triumphiert zum Schluss der Mensch!
Der Trailer zeigt´s ein wenig!
:
FILM "MELANCHOLIA"Der Planet ohne Trost
Freut euch, denn die Welt ist nicht zu retten: Lars von Triers neuer Film "Melancholia"
Melancholia zu drehen habe ihm Spaß gemacht, es sei eine glückliche Arbeit gewesen mit diesen großartigen Schauspielerinnen und Schauspielern, und der Film habe ihn am Ende aus einer lang anhaltenden Depression befreit. Das ist begreiflich, betrachtet man Melancholia unter dem Aspekt des Kinohandwerks. Der Film ist virtuos, eine gewiefte Kombination von Genres und Motiven. Elemente des Katastrophenfilms sind vorhanden, auch dessen Mechanismen der Spannungserzeugung, die Ingmar-Bergmansche Neugier am Zerfall von Beziehungen und Selbstbildern fällt ins Auge, ein gewisses Interesse an Satire und Fantastik – all das von einer nervösen Dogma-Kamera beobachtet. Der Film ist größenwahnsinnig und kitschig, subtil und grausam. Also großartig. Kein Dekonstruktionsspiel mit Zitat und Selbstzitat wird hier betrieben, sondern Gemütserregungskunst im Stil des 19. Jahrhunderts. Dass er seine Zuschauer aus einer Depression befreit, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich.Mehr als einmal betonte Lars von Trier in den vergangenen Monaten,Der Aufbau ist simpel: Auf ein Vorspiel folgen zwei Kapitel, die den Schwestern Justine (Kirsten Dunst) und Claire (Charlotte Gainsbourg) gewidmet sind. Die beiden sind die Hauptfiguren, das Doppelgestirn dieses Films. Zu Beginn bringt der Zuschauer noch die Kraft auf, sich gegen die unverblümten Überwältigungsversuche Triers zu sperren. Atemberaubende Bilder zweier sich annähernder Planeten, unterlegt mit Musik aus WagnersTristan: Einige Kritiker entdeckten hier die große Geste Albert Speers. Und dann rasen sie auch noch ineinander. ...weiterlesen: http://www.zeit.de/2011/40/Kino-Melancholia
"Menschenlichter im Tollhaus".Annalena Bergengruen. Protokoll I!
Erwin Olaf by TiJsB @ flickr
Fliegende Träume haben mich getragen und nun bin ich
im Tollhaus gelandet.
Ich heiße Annalena. Ich bin einunddreißig Jahre alt. Ich lebe seit fünf Jahren in Berlin. Es ist 22.30 Uhr, ein Dienstag und ich stehe vor meinem Elternhaus, in einer teuren Kurstadt, in Westdeutschland. Ich finde es schick, inzwischen in Berlin wohnend, Westdeutschland als Kategorie zu denken. Die Mauer ist längst gefallen und doch ist noch der Flair eines Sonderstatus über meiner neuen Heimat. Diesen Status nutze ich zum Schutze meiner Autonomie. Gerade auch heute und in diesem Moment, vergegenwärtige ich mir den Charakter getrennter Welten in unserem Land. Zu Besuch in meiner alten Welt, meiner Geburtsstadt, werde ich mich dagegen verwehren, in alte Kleider zurückschlüpfen zu müssen. Es wird schwer werden. Meine Mutter ist krank. Genau gesagt: Meine Mutter wird sterben. Das wissen die Ärzte, das weiß mein Vater, das weiß die gesamte Familie, also auch ich und das weiß meine Mutter. In diesem Wissen, habe ich meine Mutter, im letzten halben Jahr, dreimal besucht. Ich weiß, weil ich es so beschlossen habe, dass dies mein letzter Besuch, bei meiner noch lebenden Mutter sein wird. Vor fast einem Jahr haben die Ärzte die Diagnose gestellt und eine verbleibende Lebenszeit von ungefähr zwei Monaten prognostiziert. Auch damals bin ich sofort zu meiner irritierten und verstörten Familie gefahren. Dies ist inzwischen mein fünfter „Abschiedsbesuch“, nach der Prophezeiung ihres baldigen Ablebens. Damit soll es genug sein. Ich kann nicht mehr Theater spielen. Meine Mutter ist siebzig Jahre alt. Ihr Aussehen war bei meinen vergangenen Visiten durch die Krankheit nur geringfügig in Mitleidenschaft geraten. Sie hat immer jünger ausgesehen, als sie gewesen ist. Ihr Teint ist sehr hell, fast rein zu nennen, mit einem zarten Rosa, ohne jegliche Kunst, auf den Wangen. Sie war und ist schön, auf ihre leicht spießig-rüschenblusige Art. Ihr Gesicht kann sehr lieb aussehen, wenn sie sich geliebt fühlt. Und ihr Gesicht kann einer, im stummen Dauervorwurf festgefrorenen, Maske gleichen, wenn sie sich in Frage gestellt fühlt. Ihr Selbstbild ist einfach wie eine Affirmation, die sich nicht erfüllt, aber an sich glaubt: “ Ich bin eine aufopferungsvolle, liebe Mutter und Ehefrau!“ In dieser Formel hat meine Mutter sich selbst definiert und erfunden. Ich habe nie verstanden, warum meine Mutter zu der ihr innewohnenden Grausamkeit fähig sein konnte und sich ein liebes Lächeln, sekundenschnell, zu einer eisigen Fratze verwandeln konnte. Meine Mutter hat sich wie eine Tanzmaus um ihr Selbstbild gedreht. Vermutlich ist das ihr Lebenshalt gewesen. Sie hat jeden zu zerstören versucht, der ihr Selbstbild unter neuen Aspekten anzusehen versuchte. Und ich habe oft unter diversen Blickwinkeln danach geforscht, wer meine Mutter ist. Ich spürte ihre dunkle Angst vor der eigenen Wahrheit. Ich spürte, dass sie mich fürchtete, weil ich etwas in ihr sehen konnte, das sie selbst zu erkennen, nicht würde ertragen können. Heute Nacht werde ich mit meiner Mutter allein sein, denn mein Vater ist noch bis Morgen Nachmittag bei seiner Schwester. Mein Vater ist fast zwanzig Jahre älter als meine Mutter. Niemand hatte es für möglich gehalten, dass sie vor ihm fortgehen werde. Ich habe bei jedem Besuch meiner Eltern denselben Zug, von Berlin kommend, genommen. Jedes Mal bin ich um 22.30 Uhr vor der Tür des Elternhauses gestanden. Jedes Mal hatte meine Mutter auf mich gewartet, neben dem Vater auf der Couch sitzend. Auf der Herdplatte ist dann noch ein leckeres Essen gestanden, das von mir nur erwärmt werden musste. Fast jedes Mal hat meine Mutter, auch schon in der ersten halben Stunde nach der Begrüßung, ein Briefkuvert in meine Hand geschoben, in dem sich mehrere Geldscheine befanden. Ich war froh gewesen, als ich in Berlin einen schlecht bezahlten Job, als Nachhilfelehrerin für Migrantenkinder, bekommen hatte. Ich lebe von der Hand in den Mund und verfluche die Ferientage. Ich bin ein weiblicher Looser, aber meine Träume sind groß. Ich kämpfe täglich gegen das Zerbrechen und um die Befreiung meiner Person. Nun stehe ich in der Dunkelheit, vor der verschlossenen Tür, meines Elternhauses. Ich erwarte das erfreute Lächeln meiner Mutter zum Empfang und ihre im Triumph geröteten Wangen. „ Mein Kind ist gekommen, weil es mich, seine liebe Mama nötig hat!“. Das liebe Lächeln meiner Mutter, lächelte in steter Wiederkehr, diese Botschaft in mein Gesicht. Diesmal wollte ich dieses weglächelnde Lächeln, diese Tünche meiner Verzweiflung, nicht mehr zulassen und nicht mehr erwidern. In den letzten Tagen vor meiner Abreise, habe ich mir einen schwarzen Mantel gekauft gehabt, der ein wenig an einen Militärmantel erinnerte, so wie es gerade in Berlin in einer gewissen Szene uptodate ist. Ich hatte in meinen Fantasien das Lächeln in den Augen und auf dem Mund meiner Mutter sterben sehen, angesichts dieses Mantels. Noch wenige Wochen zuvor, hatte sie mir eines ihrer Pakete nach Berlin geschickt. In dem Paket lag ein langer brauner Wintermantel, den sie, wie die meisten ihrer gekauften Kleidungsstücke, ermäßigt im Schlussverkauf erworben hatte. Der Mantel hatte einen Pelzkragen, aber ich mochte die Farbe nicht. Außerdem war er so groß und lang geschnitten, dass ich mir tatsächlich vorgekommen bin, wie ein kleines Mädchen, das mit den Kleidern seiner Mutter spielt. Ich habe mich am Telefon für diesen Mantel bedankt gehabt. Die Freude in der Stimme meiner Mutter, hatte mich beruhigt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Energiereserve, um erneut um Wahrheit zu kämpfen. Ich hatte, seit ich denken kann, eine feine Antenne dafür, was meine Mutter glücklich werden ließ und sie für eine Weile den Familienmitgliedern gegenüber milde gestimmt sein machte. Ich schien dazu bestimmt zu sein, mein Leben, der sehr komplizierten Stimmungsbalance der Mutter, zu opfern, um größeren Schaden verhindern zu können. Es wäre mir nicht schwer gefallen, meine Mutter zu enttäuschen und ihren Gram auszuhalten, aber ich hätte das Wissen nicht verkraftet, dass sie den Vater und den Bruder deswegen mit ihrer Migräne, ihrer Häme und ihrer vollkommenen Abwesenheit von Liebe und Güte peinigt. Und ich hätte es auch nicht verkraftet, wenn ich zur Gänze aus dem familiären Gefüge als Schuldiggesprochene ausgestoßen worden wäre, ausgestoßen und seelisch gesteinigt, wie eine islamistische Sünderin, die eine Ikone vom Altar gestoßen hat. Ich wollte nicht schuldig sein und ich wollte nicht schuldig gemacht werden. Ich wünschte mir eine Mutter, die meine Lebendigkeit nicht fürchtet. Ich wünschte mir, mehr sein zu dürfen, als ein tragendes Mosaiksteinchen in einem Bildnis, das auseinander zu fallen drohte. Ich habe davon geträumt, dass ich eines Tages von Freien in Freiheit mit Liebe und Segen bedacht werden würde. Ich wünschte mir, dass der warme Tau der Mutterliebe mich bejahend nähren möge. Ich weiß mittlerweile, dass die Abhängigen in meiner Familie, nicht lieben können. Aber ich verstehe es nicht. Ich akzeptiere diese Wahrheit nicht. Ich kann dieses Schicksal nicht annehmen. Ich kann mich nicht in eine Demut hineinbegeben, die ein familiäres Gefüge, als sich gegenseitig, in endloser Abhängigkeit Haltende, Erstickte und Erstickende, hinnimmt. Auf die Zeiten meines Kampfes um Gerechtigkeit, ist wieder die Zeit der ermatteten Anpassung gefolgt, in der ich die Tochter meiner Mutter gewesen bin. Ich war tatsächlich zeitweise die liebe Tochter meiner lieben Mutter, die sich in Sprache und Ansicht so nah an die seelischen Bedürfnisse der Mutter anschmiegte, bis ich von mir selbst nichts mehr gespürt habe. Und dann schien manchmal alles ein wenig so, als sei alles gut. Ein zerbrechliches Gefüge, in einer zerbrechlichen, fast schon zerbrochenen Welt. Ich habe mir in den letzten Tagen meinen schwarzen Mantel gekauft.Ich habe eine Hinfahrkarte und eine Rückfahrkarte bezahlt. Ich werde kein Kuvert mehr von meiner Mutter annehmen und ich werde ihr liebes Lächeln nicht zulassen. Ich werde nach Berlin zurückfahren und ich werde meine Mutter nie wieder lebend sehen. Ich werde ihr keinen erneuten Termin meines Kommens in Aussicht stellen, damit sie sich nicht sagen kann, dass da ein Termin ist, auf den sie noch hinleben muss, in ihrem ewigen Ringen um Kontrolle. „Von meinem Saft und meiner Kraft soll sie nicht mehr zehren“, so habe ich mir mit erhobener Faust geschworen. Ich habe in meiner Küche auf den Scherben, des an die Wand geworfenen, Porzellans gestanden, das mir meine Mutter nach Berlin geschickt hatte. Ich bin mit blosen Füssen auf dem Porzellan herumgetrampelt, bis sie anfingen zu bluten und die Scherben zu Staub geworden sind. „Asche zu Asche“, habe ich gedacht und bin erschrocken und schluchzend zusammengebrochen. Nun bin ich hier in dieser Stadt meiner komplizierten Herkunft und ich stehe vor der Wohnungstür des Elternhauses und lege den Zeigefinger auf den Klingelknopf. Das beklommene Gefühl, das mich hierher begleitet hat, breitet seine schwarzen Flügel über mir aus. Nichts wird mich diesmal tragen, ich werde mich selber schleppen müssen, wenn ich das liebe Lächeln nicht mehr mitlächeln möchte. Mein Zeigefinger hat Mut bewiesen, die Klingel ertönt, aber kein erwiederndes Summen öffnet die Tür. Ich blicke hinauf zu den Fenstern der elterlichen Wohnung und sehe kein Licht. „Alles schwarz, alles aus, alles anders als sonst“, denke ich und benutze den Schlüssel, den mir meine Mutter nie weggenommen hat, um ins finstere Treppenhaus eintreten zu dürfen. Ich glaube, diesen Schlüssel benutze ich heute zum ersten Mal. Meine Mutter hat immer auf mich gewartet, wenn sie wusste, dass ich zu ihr zurückkehre. Ich bin froh, dass mit dem Benutzen des Schlüssels, automatisch die Beleuchtung im Hausflur anspringt und ich nicht mehr in das Dunkel hineinsehen muss. Ich steige sachte und leise, als wolle ich kein Geräusch mit meinen Schritten hinterlassen, die Stufen der Treppe hinauf und mir ist mit jedem Schritt, als zöge ein Gewicht mich hinab in einen Abgrund, der kein Ankommen kennt. Dann stehe ich vor der Wohnungstür der elterlichen Altbauwohnung und das goldene Türschild mit dem eingravierten Namen erinnert mich daran, dass ich hier schon oft gestanden habe und dass ich hier richtig bin. Erneut dreht sich der Schlüssel im Schloss und öffnet eine Tür. So muss es sich für Ishtar angefühlt haben, als sie den Weg zu Ereshkigal, an sieben Pforten entlang, gegangen ist. Jede Pforte erhöht eine Spannung, vor der unsichtbaren Bannkraft, aus Geheimnis und Dunkelwelt. Ich setze die Reisetasche sofort im Flur der Wohnung ab und suche keinen Lichtschalter. Der lange Gang ist mir zu vetraut, als dass ich hier ohne Lichtquelle verloren bin. Ich halte den Atem an und lausche in die Wohnung hinein. Ich warte auf ein Zeichen, das mich noch heute Nacht zu meiner Mutter führt. Mir ist wieder bewusst, dass ich meinen eigenen Mantel trage und gekommen bin, das erwartete Lächeln meiner Mutter sterben zu machen. Ich fühle mich beklommen und schäme mich für mein Vorhaben. Meine Augen haben sich rasch an die Dunkelheit gewöhnt. Sie streifen prüfend über die Reihe von Türen, von denen ich genau weiß, in welches der Zimmer sie führen. Mein Blick bleibt am Boden, vor der Schlafzimmertür der Eltern, hängen. Dahinter vermute ich den Schlaf meiner Mutter, doch ein winziger Lichtstrahl, der sich unter der Türritze zu mir hinausschiebt, scheint mich zu sich zu winken. Der Wink des Lichtkegels wird von einem eigentümlichen gurgelnden Geräusch begleitet, das ich nicht sofort identifizieren kann. Meine Hand ruht bereits auf der Türklinke, die ich vorsichtig nach unten drücke. Ich stehe in der Tür, das Schlafzimmer der Eltern ist durch das Nachttischlicht spärlich beleuchtet. Meine Mutter sitzt in ihrem weißen, mit rosa Rosen bedruckten Nachthemd auf der Bettkante. Sie hat mir den Rücken zugewandt............................................................................................! weiter in der Story geht´s hier:
der Esoteriker singt ein Gebet und das Kristall leuchtet im blassen Licht...!
Heute: Vollmond auf der Stier/Skorpion-Achse!
Leidenschaften brodeln wie Vulkane,
Liebe und Macht begegnen sich (und sind sich selten genug fremd!),
das Gute erliegt dem Bösen (und Gott sei Dank auch umgekehrt)
und wir versuchen dennoch, Gevatter Schlaf zuzulassen und
wälzen uns in den Kissen!
Nacht-Zeit für ein Video:
Zeit der Wölfe. Neil Jordan
Wikipedia (so herrlich sachlich!):
Eine genauere Definition lautet: Vollmond ist der Zeitpunkt, zu dem die ekliptikale geozentrische Länge des Mondes um 180° größer ist als die ekliptikale geozentrische Länge der Sonne.
Dabei heißt geozentrisch: von einem hypothetischen Beobachter im Erdmittelpunkt aus gesehen. Vollmond findet daher weltweit zum selben Zeitpunkt statt (der aber in verschiedenen Zeitzonenverschiedenen Uhrzeiten entspricht). Bei Beobachtung von der Erdoberfläche aus ist der Zeitpunkt und der Anblick des Vollmondes in geringem, unmerklichem Maße vom Standort des realen Beobachters abhängig.
Bei Vollmond erreicht der Mond seine maximale Helligkeit und hat eine scheinbare Helligkeit von etwa -12,5 bis -13 mag. Im Vergleich zum Licht des Vollmondes ist das Sonnenlicht etwa 400.000-mal so hell; im Vergleich mit dem Licht eines sternklaren Nachthimmels ist der Vollmond etwa 250-mal so hell.[1] Die Helligkeit des Vollmondes schwankt aufgrund der elliptischen Umlaufbahnen von Erde und Mond. Ist die Erde der Sonne besonders nahe (Perihel) und zugleich der Mond an seinem erdnächsten Punkt (Perigäum), so ist der Vollmond etwa 22 Prozent heller als im umgekehrten Fall, wenn beide Entfernungen maximal sind. Im September 2006 und im März 2010 stand der Vollmond sehr nahe am Perigäum, solche Konstellationen kommen nur etwa alle neun Jahre vor. Der Mond kulminiert am Tag des Vollmondes jeweils zu Mitternacht. Zu diesem Zeitpunkt durchläuft die Sonne den tiefsten Stand ihrer Bahn am Himmel.
Es ist dieses Rrumms, dieses nahezu archetypisch wirkende Geräusch in Glasner´s Film, (wie der Faustschlag in Dolby Stereo beim Freien Willen), das Alles in Gang setzt.
Mit diesem Geräusch hört Jeder:
Hier lastet Ungeheuerlichkeit, hier ließ Etwas sein Leben, hier gibt es nur noch das Wegrennen oder das Hinschauen.
Dieses Geräusch wird Einen verfolgen, in die Tiefe der Nacht hinein und es wird die Sonnen der Tage vertreiben, wenn es an Macht gewinnt!
Nach diesem Rrumms gibt es nur noch Gnade oder Untergang!
Aber Nichts wird mehr bleiben können, wie es vor diesem Geräusch gewesen und erschienen ist!
Das Rrumms wirft ein Paar aus der Bahn und hinein ins Existenzielle!
Dieses Rrumms kostet Tod!
Darum geht es: Nils (Jürgen Vogel), Maria (Birgit Minichmayr) und ihr gemeinsamer Sohn Markus (Henry Stange) sind aus Deutschland nach Norwegen ausgewandert.
"Eine zweite Chance für uns"!
Ihr Leben, ihre Arbeit und wohl auch ihre Liebe sollen neuen Schwung (Sinn?) bekommen.
Doch was so vernünftig beginnt, endet wenige Monate nach der Ankunft in Hammerfest in einer Katastrophe.
Und bevor es mit dieser Katastrophe sowohl endet als auch beginnt, scheint es noch jämmerlicher nach kurzer Zeit gescheitert zu sein.
Depression einer Familie. Enge. Lebenslüge und Täuschung - vorrangig aber Einsamkeit- machen sich rasch breit.
Und dann: Das Rrumms!
Ausgerechnet Maria, die als “guter Engel” und Krankenschwester in einem Hospitz jeden Tag Menschen beim Sterben begleitet, überfährt mit dem Auto in arktischer Dunkelheit ein 16jähriges Mädchen – und begeht Fahrerflucht:
Eine Schuld, die bald größer wird, als Maria es ertragen kann.
“Ich bin nicht dieser Mensch”, sagt sie zu ihrem Mann Nils – und beide beginnen mit erschreckendem Automatismus, dieses Geschehen zwischen sich zu begraben. Nicht einmal Markus, der Sohn, darf davon wissen – doch das ist gar nicht so leicht in dieser kleinen Welt, in der jeder jeden kennt…
Auch Niels geht im weiteren Verlauf an der Schuld, dem Mädchen nicht geholfen zu haben, fast zu Grunde. Er beendet eine seit Monaten andauernde Affäre mit einer Kollegin und beginnt sich Maria wieder intensiv zu nähern – eine Art Gefühls-Durchbruch scheint möglich…
Das ist zu sehen:
Viel Dunkelwelt Norwegens. Eis. Himmel. Vollmond beim Rrumms. Also Außenwelt.
Ein Kammer-Spiel mit Vogel und Minichmayr. Beide sind Ausnahme-Schau-Spieler!
Die Spiel-Chemie zwischen Ihnen stimmt!
Glaubwürdigkeit ist unbedingte Voraussetzung für diesen Stoff!
Wer, wenn nicht die Beiden, könnte das "mit links" hinkriegen?
Also Innenwelt.
Ein, irgendwie, konstruiertes "Schuld-Thema".
Von Anfang an fehlt der "Schuld" die Schuld!
(Im Gegensatz zum freien Willen!)
Deshalb kein, nur, leichter Zugang zur "Gnade".
Aber: Der Gedanke, dass "Schuld" immer auch "Wahrheit" impliziert und "Leere" mit Existenz füllt,
ist fühlbar und nicht bloße Behauptung!
Redakteurin denkt oft:...wieso Film, wieso Landschaft, wieso Norwegen, das ist doch "Ostermayer und Schaubühne"!
Redakteurin denkt das nicht kritisch, sondern hoch-achtungs-voll!
Dann, die filmischen "Dogma"-Zitate!
Dennoch: Kein Lars von Trier, kein "Breaking the Waves"!
Dafür: Glasner, Vogel, Minichmayr!
Dicht! Deutsch! Dufte!
Ganz was Eigenes!
Das sagen Andere:
Die Figuren sind umgeben von Dunkelheit und Eis und Schnee. Glasner hat diese – großartige – Seelenlandschaft so lange abfilmen lassen, bis wir verstehen: Es ist ein Ort, an dem der Mensch nichts zu suchen hat. Wer hier dennoch existieren will, muss Menschlichkeit zulassen. Dazu gehört, Schuld anzunehmen. Und so langsam, wie die Sonne mehr Licht über den Horizont bringt, erwärmen sich auch die Herzen.
"Ich bin Gott", scherzte Glasner nach der Vorstellung seines Films, denn als Regisseur habe er seine Figuren völlig in der Hand. Diesmal ist er barmherzig und lässt ihnen Vergebung zuteil werden. Wann? Zur Mittsommernacht, wenn das Licht am hellsten ist. Im Hintergrund singt der Kirchenchor samische Choräle.Gnade ist ein hervorragend gespieltes Psychodrama, und man kann Glasner Anerkennung entgegen bringen für so viel Klarheit in dem Glauben an seine positive Utopie, dass Vergebung auch unter unwahrscheinlichen Umständen möglich ist. Nicht alle taten dies nach der Premiere am Donnerstag. http://www.zeit.de/kultur/film/2012-02/film-gnade
Keine Gnade kannte die diesjährige Berlinale. Der Film ging Bären-leer in den Kino-Start!