Paganini´s...

Motto von Paganini, dem Kater:
"Es lebe die totale Subjektivität des Feuilleton!"

Sonntag, 26. Mai 2013

Der wunderbare Buchanfang! X. Teil:

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)

Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet
sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.

Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"


Diesmal, da wundersam wunderbar, Daniel Kehlmann, Mahlers Zeit:



I


In dieser Nacht machte David Mahler die wichtigste Entdeckung seines Lebens.
Ein Mann bewegte sich auf ihn zu. Er trug einen grauen Mantel, einen Hut und einen Aktenkoffer, und irgend etwas an ihm wirkte zugleich vertraut und bedrohlich. Er kam sehr schnell näher. Sein Mantel wehte hinter ihm, sein Hut saß etwas schief, der Koffer schlenkerte in seiner Hand. Dann war es kein Mann mehr, sondern eine Frau mit einer großen, viel zu großen Handtasche, dann ein kleines Mädchen mit dürren Armen und zwei Insektenflügeln, die über seinen Schultern zitterten...David wollte loslaufen. Aber er fühlte sich erstarrt, als gehorchten ihm seine Beine nicht, als hätte er überhaupt keine Beine oder überhaupt keinen Körper mehr; er wollte Luft holen und schreien, aber er hatte keine Stimme, und da war auch keine Luft; und die Gestalt war schon sehr nahe. Auf einmal zerrann sie, ihre Umrisse veränderten sich, wurden eins mit dem grünlichen Horizont, verschwanden. Und dann war selbst dieser Horizont nicht mehr da, und nur Davids Angst blieb, wie etwas Abstraktes, abgelöst von jeder Ursache, zurück.





Cover@SuhrkampVerlag



Paganini, der Kater, in der Redaktionskonferenz, die Fliege auf dem Cover unseres Rezensions-Exemplars fixierend:

Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt!
Beweg Dich gefälligst! 
Wecke meinen Trieb, meine Natur, meine Archaik!
Laß uns heute noch Fliegenblut fließen sehen...!
Grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr!

Redakteurin und Redaktion verlassen bestürzt den Ort dieses Schauspiels!




Sonntag, 19. Mai 2013

Die Schlange beißt sich in den Schwanz...

... und fragt sich: Was heißt Regieführen?





Herbert Fritsch, inzwischen Regisseur und mit Murmel Murmel beim TT 2013 vertreten, hat im bereits erwähnten "DAS FEST!" eine Anekdote von sich gegeben, die irgendwie zu dieser Frage zu führen scheint.
Als junger Schauspieler stand er auf der Bühne, sein Text war ungefähr dieser:

"Was tu ich hier und wer bin ich überhaupt?"

Es folgte ein dramatischer Blick ins Leere, also ins Publikum hinein 
und Jemand aus dem Publikum heraus, hat ihm dann ungefähr Folgendes zugerufen:

" Du bist das Opfer des Regisseurs!"

Ist dieser Mann, seit dem Geschehnis, das zu dieser Anekdote gehört,  als Regisseur tätig?

Das haben wir, die Paganini´s Redaktion, uns  daraufhin gefragt und sind zur Diskussion gekommen,
zu der Herbert Fritsch nicht geladen war.

Dafür aber Reinhild Hoffmann, Stephan Kimmig, Claus Peymann und Roger Vontobel.
Stephan Kimmig vom Deutschen Theater hatte sich krank entschuldigt, die Anderen haben uns das Ganze dennoch wunderbar erklärt:

Regieführen heißt Kunst machen, sich selbst finden, politisch sein, sich dafür bezahlen lassen und Spaß haben! 
Und es gibt noch ein Ensemble obendrauf, das macht, was man will oder ganz demokratisch mitregiert!
Je nach Gusto des Regisseurs!

Was hier kritisch klingt, sozusagen nach Paganini´s-Redaktions-Diskussion (aufgeklärt!),
ist nichts weiter als die Tünche echter Anerkennung.
 Denn die anwesenden Regisseure sind gute (teils legendäre) Regisseure. 
Sie machen, Jeder auf seine Art, Theater-KUNST!
Theater ist schön, gerade (oder: auch ) dann, wenn´s abseits der Inszenierung betrachtet wird!

"Der Blick des Kritikers landet vor der Schlafzimmertür, der Sex passiert woanders!"

Claus Peymann stichelt diffizil, wie oftmals, gegen die Kritiker-Jury des TT, welche die Erotik theaterschaffender Kräfte nicht wahrnimmt und kennt. 

Die Schlange beißt sich in den Schwanz. Und dennoch gibt es Anfang und Ende. 
Oder eben Kopf und Schwanz. Oder eben Alt und Jung.

Peymann, der Alt68er, der Kultivierte, der was draus gemacht hat, sitzt lässig in Seidenpulli (designer-schwarz) und Leinenhose (designer-grau) im Sesselchen und 
vis a vis der junge, gar nicht wilde Vontobel, der angepasste, unpolitische und 
dennoch sympathisch-sensible Neu-Zeitler.

"Die Veränderung der Gesellschaft führt eben auch zur Veränderung ihrer Regisseure!"
Und:
"Wir haben das Theater, das wir verdienen!" sagt der Alte.

"Die Haut muß dicker werden, um den Lebenskampf zu ertragen!" sagt der Junge.

"In der früheren Zeit" (wortwörtlich!), war Alles leichter! 
Das sagen Beide unisono!

Denn: "Wann ist man Heute so hingerissen, dass man sich dazu äußert?"

Oder so schockiert. 

Denn: "Merkel und Obama sind richtig nett, gehen ins Theater und dennoch ist irgendetwas faul!"

Das Subversive im Theater hat´s Heute schwer!

Dass Regisseur-Sein aber auch bedeutet, Mittler zwischen Literatur und Schauspielern und zwischen Literatur und Publikum zu sein, eint schließlich Alle zum ewig gültigen Schluß :
Regieführen heißt suchen, finden, vermitteln und weitergeben!

Zusammengefasst: 
Ein einziger, wunderbarer Ego-Trip führt per Team-Work direkt aus dem System ins System hinein!






Aus dem Programm-Heft:
...Regieführen heißt:
… rauskriegen zu wollen, wer man ist, und Frieden damit zu machen, dass man andere dazu benutzt.“
ANDREAS KRIEGENBURG
„… Texte auf dem Theater möglich zu machen.“
FRANZ XAVER KROETZ
Jeder Regisseur hat eine eigene Vorstellung davon, was das bedeutet: ein Drama, ein Stück, Flächen, Szenen, Collagen, sich selbst zu „inszenieren“; aus der Idee, dem Innern eines einzelnen mithilfe fremder Köpfe, Herzen, Körper im besten Fall etwas entstehen zu lassen, das über die Bühne hinweg zur gleichen Zeit Hunderte von Menschen entzündet. Was verbindet oder unterscheidet die Visionen und Arbeitweisen verschiedener Regiegenerationen? Welche ästhetischen Kämpfe fechten Regieväter und -mütter mit ihren Söhnen oder Töchtern aus? Was eint eine bestimmte Altersklasse von Theatermachern – und wofür will und kann sie stehen? Ein generationsübergreifendes Gespräch über das Bemerkenswerte am Inszenieren.

Wunderbare Moderatorin war übrigens Petra Kohse!






Mittwoch, 15. Mai 2013

Fiction und Protokoll:


"Menschenlichter im Tollhaus". Annalena Bergengruen. Protokoll I!


Erwin Olaf by TiJsB @ flickr


Ich heiße Annalena. Ich bin einunddreißig Jahre alt. 
Ich lebe seit fünf Jahren in Berlin. 
Es ist 22.30 Uhr, ein Dienstag und ich stehe vor meinem Elternhaus, in einer teuren Kurstadt, in Westdeutschland. Ich finde es schick, inzwischen in Berlin wohnend, Westdeutschland als Kategorie zu denken. 
Die Mauer ist längst gefallen und doch ist noch der Flair eines Sonderstatus über meiner neuen Heimat. Diesen Status nutze ich zum Schutze meiner Autonomie. 
Gerade auch heute und in diesem Moment, vergegenwärtige ich mir den Charakter getrennter Welten in unserem Land. Zu Besuch in meiner alten Welt, meiner Geburtsstadt, werde ich mich dagegen verwehren, in alte Kleider zurückschlüpfen zu müssen. Es wird schwer werden. 
Meine Mutter ist krank. Genau gesagt: Meine Mutter wird sterben. Das wissen die Ärzte, das weiß mein Vater, das weiß die gesamte Familie, also auch ich und das weiß meine Mutter. In diesem Wissen, habe ich meine Mutter, im letzten halben Jahr, dreimal besucht. 
Ich weiß, weil ich es so beschlossen habe, dass dies mein letzter Besuch, bei meiner noch lebenden Mutter sein wird. Vor fast einem Jahr haben die Ärzte die Diagnose gestellt und eine verbleibende Lebenszeit von ungefähr zwei Monaten prognostiziert. Auch damals bin ich sofort zu meiner irritierten und verstörten Familie gefahren. Dies ist inzwischen mein fünfter „Abschiedsbesuch“, nach der Prophezeiung ihres baldigen Ablebens. Damit soll es genug sein. 
Ich kann nicht mehr Theater spielen. Meine Mutter ist siebzig Jahre alt. Ihr Aussehen war bei meinen vergangenen Visiten durch die Krankheit nur geringfügig in Mitleidenschaft geraten. 
Sie hat immer jünger ausgesehen, als sie gewesen ist. Ihr Teint ist sehr hell, fast rein zu nennen, mit einem zarten Rosa, ohne jegliche Kunst, auf den Wangen. Sie war und ist schön, auf ihre leicht spießig-rüschenblusige Art. Ihr Gesicht kann sehr lieb aussehen, wenn sie sich geliebt fühlt. Und ihr Gesicht kann einer, im stummen Dauervorwurf festgefrorenen, Maske gleichen, wenn sie sich in Frage gestellt fühlt. Ihr Selbstbild ist einfach wie eine Affirmation, die sich nicht erfüllt, aber an sich glaubt:
“ Ich bin eine aufopferungsvolle, liebe Mutter und Ehefrau!“ 
In dieser Formel hat meine Mutter sich selbst definiert und erfunden. Ich habe nie verstanden, warum meine Mutter zu der ihr innewohnenden Grausamkeit fähig sein konnte und sich ein liebes Lächeln, sekundenschnell, zu einer eisigen Fratze verwandeln konnte. Meine Mutter hat sich wie eine Tanzmaus um ihr Selbstbild gedreht. Vermutlich ist das ihr Lebenshalt gewesen. Sie hat jeden zu zerstören versucht, der ihr Selbstbild unter neuen Aspekten anzusehen versuchte. Und ich habe oft unter diversen Blickwinkeln danach geforscht, wer meine Mutter ist. Ich spürte ihre dunkle Angst vor der eigenen Wahrheit. Ich spürte, dass sie mich fürchtete, weil ich etwas in ihr sehen konnte, das sie selbst zu erkennen, nicht würde ertragen können. 
Heute Nacht werde ich mit meiner Mutter allein sein, denn mein Vater ist noch bis Morgen Nachmittag bei seiner Schwester. Mein Vater ist fast zwanzig Jahre älter als meine Mutter. Niemand hatte es für möglich gehalten, dass sie vor ihm fortgehen werde. Ich habe bei jedem Besuch meiner Eltern denselben Zug, von Berlin kommend, genommen. Jedes Mal bin ich um 22.30 Uhr vor der Tür des Elternhauses gestanden. Jedes Mal hatte meine Mutter auf mich gewartet, neben dem Vater auf der Couch sitzend. 
Auf der Herdplatte ist dann noch ein leckeres Essen gestanden, das von mir nur erwärmt werden musste. Fast jedes Mal hat meine Mutter, auch schon in der ersten halben Stunde nach der Begrüßung, ein Briefkuvert in meine Hand geschoben, in dem sich mehrere Geldscheine befanden. Ich war froh gewesen, als ich in Berlin einen schlecht bezahlten Job, als Nachhilfelehrerin für Migrantenkinder, bekommen hatte. Ich lebe von der Hand in den Mund und verfluche die Ferientage. Ich bin ein weiblicher Looser, aber meine Träume sind groß. Ich kämpfe täglich gegen das Zerbrechen und um die Befreiung meiner Person. 
Nun stehe ich in der Dunkelheit, vor der verschlossenen Tür, meines Elternhauses. Ich erwarte das erfreute Lächeln meiner Mutter zum Empfang und ihre im Triumph geröteten Wangen. „ Mein Kind ist gekommen, weil es mich, seine liebe Mama nötig hat!“. 
Das liebe Lächeln meiner Mutter, lächelte in steter Wiederkehr, diese Botschaft in mein Gesicht.
Diesmal wollte ich dieses weglächelnde Lächeln, diese Tünche meiner Verzweiflung, nicht mehr zulassen und nicht mehr erwidern. 
In den letzten Tagen vor meiner Abreise, habe ich mir einen schwarzen Mantel gekauft gehabt, der ein wenig an einen Militärmantel erinnerte, so wie es gerade in Berlin in einer gewissen Szene uptodate ist.  Ich hatte in meinen Fantasien das Lächeln in den Augen und auf dem Mund meiner Mutter sterben sehen, angesichts dieses Mantels. Noch wenige Wochen zuvor, hatte sie mir eines ihrer Pakete nach Berlin geschickt. 
In dem Paket lag ein langer brauner Wintermantel, den sie, wie die meisten ihrer gekauften Kleidungsstücke, ermäßigt im Schlussverkauf erworben hatte. 
Der Mantel hatte einen Pelzkragen, aber ich mochte die Farbe nicht. Außerdem war er so groß und lang geschnitten, dass ich mir tatsächlich vorgekommen bin, wie ein kleines Mädchen, das mit den Kleidern seiner Mutter spielt. Ich habe mich am Telefon für diesen Mantel bedankt gehabt. 
Die Freude in der Stimme meiner Mutter, hatte mich beruhigt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Energiereserve, um erneut um Wahrheit zu kämpfen. Ich hatte, seit ich denken kann, eine feine Antenne dafür, was meine Mutter glücklich werden ließ und sie für eine Weile den Familienmitgliedern gegenüber milde gestimmt sein machte. Ich schien dazu bestimmt zu sein, mein Leben, der sehr komplizierten Stimmungsbalance der Mutter, zu opfern, um größeren Schaden verhindern zu können. Es wäre mir nicht schwer gefallen, meine Mutter zu enttäuschen und ihren Gram auszuhalten, aber ich hätte das Wissen nicht verkraftet, dass sie den Vater und den Bruder deswegen mit ihrer Migräne, ihrer Häme und ihrer vollkommenen Abwesenheit von Liebe und Güte peinigt. 
Und ich hätte es auch nicht verkraftet, wenn ich zur Gänze aus dem familiären Gefüge als Schuldiggesprochene ausgestoßen worden wäre, ausgestoßen und seelisch gesteinigt, wie eine islamistische Sünderin, die eine Ikone vom Altar gestoßen hat. Ich wollte nicht schuldig sein und ich wollte nicht schuldig gemacht werden. Ich wünschte mir eine Mutter, die meine Lebendigkeit nicht fürchtet. Ich wünschte mir, mehr sein zu dürfen, als ein tragendes Mosaiksteinchen in einem Bildnis, das auseinander zu fallen drohte. 
Ich habe davon geträumt, dass ich eines Tages von Freien in Freiheit mit Liebe und Segen bedacht werden würde. Ich wünschte mir, dass der warme Tau der Mutterliebe mich bejahend nähren möge. Ich weiß mittlerweile, dass die Abhängigen in meiner Familie, nicht lieben können. Aber ich verstehe es nicht. Ich akzeptiere diese Wahrheit nicht. Ich kann dieses Schicksal nicht annehmen. Ich kann mich nicht in eine Demut hineinbegeben, die ein familiäres Gefüge, als sich gegenseitig, in endloser Abhängigkeit Haltende, Erstickte und Erstickende, hinnimmt. Auf die Zeiten meines Kampfes um Gerechtigkeit, ist wieder die Zeit der ermatteten Anpassung gefolgt, in der ich die Tochter meiner Mutter gewesen bin. Ich war tatsächlich zeitweise die liebe Tochter meiner lieben Mutter, die sich in Sprache und Ansicht so nah an die seelischen Bedürfnisse der Mutter anschmiegte, bis ich von mir selbst nichts mehr gespürt habe. Und dann schien manchmal alles ein wenig so, als sei alles gut. Ein zerbrechliches Gefüge, in einer zerbrechlichen, fast schon zerbrochenen Welt. 
 Ich habe mir in den letzten Tagen meinen schwarzen Mantel gekauft.Ich habe eine Hinfahrkarte und eine Rückfahrkarte bezahlt. Ich werde kein Kuvert mehr von meiner Mutter annehmen und ich werde ihr liebes Lächeln nicht zulassen. Ich werde nach Berlin zurückfahren und ich werde meine Mutter nie wieder lebend sehen. Ich werde ihr keinen erneuten Termin meines Kommens in Aussicht stellen, damit sie sich nicht sagen kann, dass da ein Termin ist, auf den sie noch hinleben muss, in ihrem ewigen Ringen um Kontrolle. 
„Von meinem Saft und meiner Kraft soll sie nicht mehr zehren“, so habe ich mir mit erhobener Faust geschworen. Ich habe in meiner Küche auf den Scherben, des an die Wand geworfenen, Porzellans gestanden, das mir meine Mutter nach Berlin geschickt hatte. Ich bin mit blosen Füssen auf dem Porzellan herumgetrampelt, bis sie anfingen zu bluten und die Scherben zu Staub geworden sind. „Asche zu Asche“, habe ich gedacht und bin erschrocken und schluchzend zusammengebrochen. 
Nun bin ich hier in dieser Stadt meiner komplizierten Herkunft und ich stehe vor der Wohnungstür des Elternhauses und lege den Zeigefinger auf den Klingelknopf. Das beklommene Gefühl, das mich hierher begleitet hat, breitet seine schwarzen Flügel über mir aus. Nichts wird mich diesmal tragen, ich werde mich selber schleppen müssen, wenn ich das liebe Lächeln nicht mehr mitlächeln möchte. Mein Zeigefinger hat Mut bewiesen, die Klingel ertönt, aber kein erwiederndes Summen öffnet die Tür. 
Ich blicke hinauf zu den Fenstern der elterlichen Wohnung und sehe kein Licht. „Alles schwarz, alles aus, alles anders als sonst“, denke ich und benutze den Schlüssel, den mir meine Mutter nie weggenommen hat, um ins finstere Treppenhaus eintreten zu dürfen. Ich glaube, diesen Schlüssel benutze ich heute zum ersten Mal. Meine Mutter hat immer auf mich gewartet, wenn sie wusste, dass ich zu ihr zurückkehre. 
Ich bin froh, dass mit dem Benutzen des Schlüssels, automatisch die Beleuchtung im Hausflur anspringt und ich nicht mehr in das Dunkel hineinsehen muss. Ich steige sachte und leise, als wolle ich kein Geräusch mit meinen Schritten hinterlassen, die Stufen der Treppe hinauf und mir ist mit jedem Schritt, als zöge ein Gewicht mich hinab in einen Abgrund, der kein Ankommen kennt. 
Dann stehe ich vor der Wohnungstür der elterlichen Altbauwohnung und das goldene Türschild mit dem eingravierten Namen erinnert mich daran, dass ich hier schon oft gestanden habe und dass ich hier richtig bin. Erneut dreht sich der Schlüssel im Schloss und öffnet eine Tür. 
So muss es sich für Ishtar angefühlt haben, als sie den Weg zu Ereshkigal, an sieben Pforten entlang, gegangen ist. Jede Pforte erhöht eine Spannung, vor der unsichtbaren Bannkraft, aus Geheimnis und Dunkelwelt.
Ich setze die Reisetasche sofort im Flur der Wohnung ab und suche keinen Lichtschalter. Der lange Gang ist mir zu vetraut, als dass ich hier ohne Lichtquelle verloren bin. 
Ich halte den Atem an und lausche in die Wohnung hinein. Ich warte auf ein Zeichen, das mich noch heute Nacht zu meiner Mutter führt. Mir ist wieder bewusst, dass ich meinen eigenen Mantel trage und gekommen bin, das erwartete Lächeln meiner Mutter sterben zu machen. Ich fühle mich beklommen und schäme mich für mein Vorhaben. 
Meine Augen haben sich rasch an die Dunkelheit gewöhnt. Sie streifen prüfend über die Reihe von Türen, von denen ich genau weiß, in welches der Zimmer sie führen. 
Mein Blick bleibt am Boden, vor der Schlafzimmertür der Eltern, hängen. Dahinter vermute ich den Schlaf meiner Mutter, doch ein winziger Lichtstrahl, der sich unter der Türritze zu mir hinausschiebt, scheint mich zu sich zu winken. 
Der Wink des Lichtkegels wird von einem eigentümlichen gurgelnden Geräusch begleitet, das ich nicht sofort identifizieren kann. Meine Hand ruht bereits auf der Türklinke, die ich vorsichtig nach unten drücke. Ich stehe in der Tür, das Schlafzimmer der Eltern ist durch das Nachttischlicht spärlich beleuchtet. 
Meine Mutter sitzt in ihrem weißen, mit rosa Rosen bedruckten Nachthemd auf der Bettkante. Sie hat mir den Rücken zugewandt............................................................................................!


weiter in der Story geht´s hier:



oder


Sonntag, 12. Mai 2013

Theater ist Gegenwart...

...und Gegenwart ist Theater...!


So in Steigerungen wahrgenommen und vermittelt bekommen beim Theatertreffen in Berlin:
DAS FEST.


Foto



Der Abend beginnt mit Theorie. Yvonne Büdenhölzer, aparte Leiterin des TT50, beschwört in Ihrer Willkommensansprache zum großen FEST im Haus der Berliner Festspiele, die Gegenwärtigkeit dieser Kunstform, die nicht konservierbar wäre:
"Theater ist Gegenwart"!
Das FEST beginnt also mit dieser Definition.


Es folgt die Gegenwart einer gegenwärtigen Moderation von Sandra Hüller.
Gegenwart ist die Zeit, in der alle Ereignisse stattfinden. So auch dieses:
Die nicht einstudiert wirkende einstudierte Ansage im Plauderton mit folgenden, souverän formulierten Fragen an die eingeladenen Ehren-Gäste, wird durch die Gefährlichkeit der Gegenwärtigkeit von Gegenwart unterminiert.
Etwas Unvorhersehbares passiert.
Sandra Hüller formuliert das, mit bereits schwer werdender Stimme und haltsuchender Bewegung an die Stirn, so:
" Und jetzt passiert gerade das, was nicht passieren sollte...!"
Die Bretter namens Bühne scheinen unter ihren Füßen brüchig zu werden. Der schlanke Körper sackt (bühnentauglich) in sich zusammen. Der Moderatorin schwinden die Sinne in eine Ohn-Macht hinein.
"Ein Arzt, wo ist ein Arzt" ruft der herbeieilende Intendant, die Bühne füllt sich mit hilfreich erscheinenden Personen, das Licht wird gedimmt, die Zuschauer ins Foyer verbannt:
"Wir geben Ihnen für die Zeit der Unterbrechung Einen aus!"
So noch einmal, nun mit fester Stimme, der Intendant.
Und dieser hat noch dazu an diesem Tag Geburtstag.
Doch Gegenwart füllt den Theaterraum und verscheucht Planung und Gedachtes.


In der Zwangs-Pause. Das Theaterpublikum, mit Sektglas in der Hand, hat nur ein Thema:
"War das nun ECHT oder war das THEATER? Am Ende Alles nur inszeniert und einstudiert?"
Ein Hin und Her von Vermutungen und Raunen.
Theaterpublikum unter sich.


Der Abend endet mit praktischer Anschauung. Sandra Hüller hat sich rasch wieder erholt.
Zart und schön führt sie weiter durch die Show.
Wem, wenn nicht ihr, die ihr Gesicht den brüchigsten Charakteren schenkt und somit zum Leben auf der Bühne und auf der Leinwand verhilft, hätte man einen Anfall von Schwäche eher zugetraut und noch eher verziehen?
Und als dann das Ganze vorüber ist, das eigentliche Theater-Programm, das nicht nur Theater war,
da hebt sich der schwere, rote Vorhang und es wird aufgetan:
Das Publikum darf auf die riesige Bühne strömen. Nun wird getanzt werden.
Lars Eidinger, der Schauspieler, legt auf.
Die Zuschauer nehmen ihre Plätze ein.
Das Theater kann beginnen!


Aus dem Programm-Heft:
Das FEST empfängt seine Gäste auf dem Vorplatz mit Livemusik der eigens zur Jubiläumsveranstaltung arrangierten Musikerformation „Theatre Composers Orchestra“, besetzt aus bekannten Theatermusikern.
Auf der großen Bühne geht es weiter mit dem Berliner Kultmoderator und Regisseur Jürgen Kuttner, der in einem Videoschnipselvortrag behauptet: „Vom Theater getroffen“. Er widmet sich den epochalen Eigenheiten des Theaters, Querverbindungen zwischen Ost und West sowie Diskussionen rund um das Theatertreffen. Gemeinsam mit Sandra Hüller erinnern sich darüber hinaus Künstler, die das deutschsprachige Theater geprägt haben, an ihre Theatertreffen-Momente. Im Anschluss an das Bühnenprogramm lädt das Theatertreffen zum Fest auf die Bühne ein. Es spielen das „Theatre Composers Orchestra“. Ab 23 Uhr folgt „Autistic Disco“ mit Lars Eidinger.
http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/theatertreffen/tt13_programm/

Sonntag, 5. Mai 2013

Mayröcker goes Theatertreffen:

Reise durch die Nacht! 

Katie Mitchell und das Schauspiel Köln interpretieren einen literarischen Text.


ZITAT AUS DEM BUCH von Friederike Mayröcker:

...wenn ein Blatt vom Baum fällt, zittert die Welt, ich habe Angst, ich habe auch Angst, ich habe immer schon Angst gehabt, ich falte mich allzu leicht vor den Menschen zusammen, ich komme mir unterlegen vor, eine Angst löst die andere ab, sage ich, mein Selbstwertgefühl ist beinahe erloschen, eine fortschreitende Zersetzung wird offenbar, tatsächlich bin ich kaum mehr imstande, Freunden, ja vertrautesten Menschen ohne Scheu und Befangenheit, ohne Gefühle der Unterlegenheit, Unsicherheit und Furcht zu begegnen, alles ist schwierig geworden, alles ist undurchschaubar geworden, alles hat an Wirkung eingebüszt, ich bin kaum mehr Herr meiner selbst, ein dauerndes Danebenstehen, ein dauerndes teilnahmsloses neben sich selbst Stehen, sich selbst Zusehen, sich selbst Verdammen haben mir das Leben zur Qual gemacht, eine den ganzen Himmel überziehende plötzliche Dunkelheit, ich bin auch nicht sicher im Glauben...


EINBLICK IN DIE THEATER-VIDEO-PERFORMANCE von Katie Mitchell:





Eine Zugfahrt kann so psycho sein! 

Zu erwarten ist: Theater-Magie!

Am 11.05. zu Gast beim Theatertreffen Berlin 2013.
http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/theatertreffen/ueber_festival_tt/aktuell_tt/start.php


Freitag, 3. Mai 2013

Ein guter Salon kennt die aufgegangene Naht am Cocktailkleid:


...dies Symbol für Glanz und Vanitas!


Es gibt keinen Salon in Berlin, der so sehr dem Ur-Bild eines Salons gleicht, wie der literarische Salon von Britta Gansebohm, der nun 18 Jahre alt wurde!

Der notwendige Touch Bohème wird durch die fragile Erscheinung der Dame in Salon-Robe (natürlich ohne Spliss im Saum) perfekt verkörpert:
Die Germanistin, Tänzerin und Schauspielerin transportiert diesen Zauber, der an Verletzbarkeit und Eigensinn von Vivien Leigh erinnern könnte.
Dennoch ist Britta Gansebohm Sie selbst, spielt keine Rolle und ist erfolgreich im Berliner Literatur-Milieu etabliert.

Nein, wir lassen die Metaphern und sagen nicht "nun wird die Chose erwachsen", sondern wir sagen 
"Herzlichen Glückwunsch"!

Im Übrigen sind wir an diesem Geburtstag erstmalig zu diesem Salon geeilt, obwohl eine halbe Ewigkeit um seine Existenz wissend, doch gerade deshalb immer vertagend: 

Och, da können wir doch auch nächsten Monat hin!

Dumm gelaufen, wir haben vermutlich was verpasst!


Der literarische Salon von Madame Geoffrin (1755)

Immerhin gab´s für uns zur Geburtstagsfete des Literarischen Salons auf einen Schlag dies:

Aus ihren aktuellen Büchern oder neue Texte lasen...

Alexa Hennig von Lange
Jan Peter Bremer 
Kathrin Röggla
Norbert Zähringer
Luo Lingyuan
Claudius Hagemeister
David Wagner
Barbara Sichtermann

Ihre eigenen Chansonlieder sangen...

Boris Steinberg
Corinne Douarre
Renee Van Bavel
Sven Bünger

Allesamt, immerhin, irgendwann in der Talentschmiede B. Gansebohm-Salon aus dem damaligen Ei geschlüpft!

Den oftmals überaus prätentiösen, ironie-fernen und unglamourösen Dichter-Lesungen 
der Literaturszene im steifen Ambiente, wurde hier mit viel Musik, Heiterkeit und Verve ein Schnelldurchlauf durch die aktuelle Bücher-Landschaft geboten.

Merke: Der Literat von Heute kann sich präsentieren wie ein Comedian (z.B. J. P. Bremer) oder eine Lesung als Performance gestalten (z.B. K. Röggla)!


Die Texte klingen manchmal fast so, als seien Sie im Hinblick auf Präsentations
tauglichkeit 
geschrieben worden! 
Aber: Vermutlich reine Unterstellung! 
Und: Spass macht´s trotzdem!


http://www.salonkultur.de/

Der neue Ort im TAK-Theater im Aufbau-Haus (Aufbau-Verlag), mit viel rotem Plüsch und Kerzenleuchter, passt wie angegossen zum Konzept!
Genau so geht Literatur-Salon! 




Redakteurin und Redaktion in der Redaktionskonferenz:

Lieber Herr Paganini, lassen Sie uns bitte verstehen?
"Ein guter Salon kennt die aufgegangene Naht am Cocktailkleid"!
Was wollen Sie uns damit sagen?
Bitte, Herr Paganini, erklären Sie...!?

Paganini, der Kater, gähnt, rollt sich zusammen und Redakteurin und Redaktion hören, 
wie sein Schnurren in lautes Schnarchen übergeht.
Ihr könnt mich mal, Allleee!!! heißt das.