Paganini´s...

Motto von Paganini, dem Kater:
"Es lebe die totale Subjektivität des Feuilleton!"

Freitag, 31. Januar 2020

Berlinale 2020 leuchtet "cineastisch"

Puh, es ist geschafft!

Carlo Chatrian hat sein Wettbewerbs-Programm vorgestellt





Und damit sich selbst. Es ist ihm soweit gut gelungen. Vielleicht sogar besser als gut.
Aber das wird sich natürlich erst im Laufe des Festivals - und unter den Argus-Augen der Kritiker - zeigen und beweisen müssen.
Doch immerhin: Den ersten (und damit vielleicht schwersten) offiziellen Auftritt als neuer Berlinale-Kurator und Berliner FilmFest-Gastgeber hat er nun am vergangenen Mittwoch hinter sich gebracht.

Und er hat Eines  gezeigt und dabei ganz und gar nicht verloren: Er steht für sich selbst und seine Profession. Und tritt an, ohne in irgendwelche Stapfen zu treten oder gegen dieselbigen an zu treten.

Er wird einfach anders als Kosslick sein. Und das nur, weil er eben anders ist. Punkt.
Chatrian sucht Filme aus, die seinem künstlerischem Anspruch an filmerische Qualität entsprechen. Er präsentiert diese Filme auf der Berlinale und will sie für sich sprechen lassen.
Kein Motto.
Kein roter Schal, kein Hut, keine Koketterie.

Er beginnt die Pressekonferenz höflich (abgelesen) in Deutsch, ganz ernst und ohne Ironie, wechselt dann in die fließend gesprochene Amtssprache Englisch und erinnert so wenig an die Person Kosslick, dass es ein schier berückendes Erlebnis gewesen ist, wie diskret (und nahezu unabsichtlich wirkend) die "Lösch-Taste" in puncto Wiedererkennungs-Effekt gedrückt wurde.

Ein totales Reset auf das Wesentliche: Die Filme.

Dabei wirkte Chatrian sympathisch, feinsinnig und intelligent auf Fragen parierend, aber durchgehend bar jeder Selbstinszenierung. Die von Kosslick geprägte Exzentrik und "Ich bin ein Original"-Attitude gehören nicht zu ihm. Und Gott sei Dank, er hat nicht einmal ansatzweise versucht, in eine "Konkurrenz" zu treten.
Diese gewählte Schlichtheit. Das hatte Größe. (Bei aller verständlichen und im Ansatz spürbaren Nervosität)

Grauer Anzug, schwarzes Shirt, roter Mini-Bär am Revers. Das muss (und das wird - denken wir) in den kommenden Berlinale-Jahren genügen, um den Eben-Nicht-Zirkus-Direktor des Filmfests auszumachen.

Nein, wir haben Kosslick bei dieser Pressekonferenz (gesehen live im Stream) nicht vermisst.
Nicht, weil wir ihn nicht mehr mögen. Nein.
Es wurde nur von der 1. Sekunde an klar, dass hier ein ganz anderer Ton herrscht, ein neuer Stil. Und dass sowohl Ton als auch Stil nicht in Vergleich treten sondern einfach ab Jetzt zur Berlinale gehören werden.

Und dass sich dagegen kein Widerstand regt und keine Melancholie breit gemacht hat (und auch kein gehässiges Gelächter gegen K.), das kann man Carlo Chatrian gar nicht hoch genug anrechnen.
Seine Selbstverständlichkeit (geboren aus einem sehr professionell anmutenden Selbstverständnis) tut gut!
Ohne Chichi. Und ohne jeden falschen Ton!



Hier geht es zu den Wettbewerbs-Filmen, die "cineastisch" (so Vertreter d. Medien) und ziemlich exquisit anmuten---> BERLINALE

Freitag, 17. Januar 2020

Der wunderbare Buchanfang: XXVII. Teil

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"

(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.

Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Heute ein Buch, das seinen Blick in Abgründe schickt und dessen Sprache die Sehnsucht nach Schönheit zu Leben erweckt:

William T. Vollmann; HUREN FÜR GLORIA

1.


Das Album


Wir alle kennen die Geschichte von der Hure, die, weil sich ihr China White als ein immer unzuverlässigerer Freund erwies, egal, wieviel sie auch davon injizierte, sich völlig verzweifelt die Wendung "die Scheiße schießen" ins Gedächtnis rief und also die Nadel mit ihrem eigenen wäßrigen Exkrement füllte und sich dieses in den Arm pumpte, was prachtvolle Abszesse hervorbrachte. 



Bon Boncuk, der Kater, präsentiert Vollmann


So weit, so gut. So also der erste Satz von "Huren für Gloria". Der Satz hat Stil, der Satz hat "Bumms", ein bisserl Bänkelsänger-Charme, ein wenig Bukowski-Feeling, Beat-Generation-Flair und so. Vollmann hat das wunderbar drauf, dieses hin zum Ziel, geradeaus in die bitterböse Realität, die sich hier im Prostituierten-Milieu manifestiert. Und er hat es noch wundervoller drauf, dem ganzen noch eins drauf zu setzen, dass man "aufhören" brabbeln möchte, als Leser oder Leserin. Oder sich eben halbwegs gemütlich im Ungemütlichen einzurichten sucht, da man denkt, dass das nun bis zum THE END so weitergeht. Doch nach der Steigerung des Elends erwischt man sich in der ersten, winzigkleinen Irritation ("Weniger bekannt ist die Geschichte von dem Mann, der sich zum Selbstmord durch...") und der Frage, ob der Wiedererkennungseffekt gar doch trügerischer Natur sein könnte. Und dran geblieben sind wir, die Paganini´s-Redaktion, dann letztlich auch durch das Versprechen: "Das Folgende ist noch obskurer, weil fiktiv. Alle Hurenerzählungen in diesem Buch sind jedoch wahr". Ja, was denn nun? Ist der Herr William T. Vollmann nun Protokollant oder Reporter oder Schriftsteller oder besser, was von all dem, möchte er vorgeben zu sein? Und wenn dann der Leser oder die Leserin, neugierig geworden, die Seite umschlägt und den kurzen Prolog, der bereits viele Andeutungen zu enthalten scheint, verlässt, dann begegnet man dem allerersten Satz, nach diesem Vorgeplänkel, also dem eigentlichen 1. Satz von "Huren für Gloria", aber der ist wahrlich nicht als Zitat zu verwenden, da ellenlang. Ellenlange Sätze gibt es, das sei verraten, gar viele und die fliegen einem um die Augen und um die Ohren und ins Hirn und - sehr - ins Herz hinein. Ein wilder Ritt auf Worten, die zu einem Sprachgebilde werden, das überflutet, an sich und mit sich reißt. Und so ist man dann spätestens nach diesem zweiten 1. Satz an Gloria verloren, so wie Jimmy es schon immer gewesen ist. Oder wie es scheint, dass er es schon immer gewesen ist. Denn Gloria wird in diesem Buch erst durch Jimmy geboren. Und dafür braucht er die Huren. Ein absolut einzigartiger Roman. Ein Trip. Im Abgrund leuchtet die Sehnsucht nach Schönheit am hellsten. Wir waren berauscht!
(Unbedingt sei erwähnt, dass Thomas Melles Übersetzung kongenial ist.)


Weniger kryptische Begeisterung und echte Hinweise zum Inhalt etca. --->HIER