Der wunderbare Buchanfang: XXVII. Teil

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"

(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.

Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Heute ein Buch, das seinen Blick in Abgründe schickt und dessen Sprache die Sehnsucht nach Schönheit zu Leben erweckt:

William T. Vollmann; HUREN FÜR GLORIA

1.


Das Album


Wir alle kennen die Geschichte von der Hure, die, weil sich ihr China White als ein immer unzuverlässigerer Freund erwies, egal, wieviel sie auch davon injizierte, sich völlig verzweifelt die Wendung "die Scheiße schießen" ins Gedächtnis rief und also die Nadel mit ihrem eigenen wäßrigen Exkrement füllte und sich dieses in den Arm pumpte, was prachtvolle Abszesse hervorbrachte. 



Bon Boncuk, der Kater, präsentiert Vollmann


So weit, so gut. So also der erste Satz von "Huren für Gloria". Der Satz hat Stil, der Satz hat "Bumms", ein bisserl Bänkelsänger-Charme, ein wenig Bukowski-Feeling, Beat-Generation-Flair und so. Vollmann hat das wunderbar drauf, dieses hin zum Ziel, geradeaus in die bitterböse Realität, die sich hier im Prostituierten-Milieu manifestiert. Und er hat es noch wundervoller drauf, dem ganzen noch eins drauf zu setzen, dass man "aufhören" brabbeln möchte, als Leser oder Leserin. Oder sich eben halbwegs gemütlich im Ungemütlichen einzurichten sucht, da man denkt, dass das nun bis zum THE END so weitergeht. Doch nach der Steigerung des Elends erwischt man sich in der ersten, winzigkleinen Irritation ("Weniger bekannt ist die Geschichte von dem Mann, der sich zum Selbstmord durch...") und der Frage, ob der Wiedererkennungseffekt gar doch trügerischer Natur sein könnte. Und dran geblieben sind wir, die Paganini´s-Redaktion, dann letztlich auch durch das Versprechen: "Das Folgende ist noch obskurer, weil fiktiv. Alle Hurenerzählungen in diesem Buch sind jedoch wahr". Ja, was denn nun? Ist der Herr William T. Vollmann nun Protokollant oder Reporter oder Schriftsteller oder besser, was von all dem, möchte er vorgeben zu sein? Und wenn dann der Leser oder die Leserin, neugierig geworden, die Seite umschlägt und den kurzen Prolog, der bereits viele Andeutungen zu enthalten scheint, verlässt, dann begegnet man dem allerersten Satz, nach diesem Vorgeplänkel, also dem eigentlichen 1. Satz von "Huren für Gloria", aber der ist wahrlich nicht als Zitat zu verwenden, da ellenlang. Ellenlange Sätze gibt es, das sei verraten, gar viele und die fliegen einem um die Augen und um die Ohren und ins Hirn und - sehr - ins Herz hinein. Ein wilder Ritt auf Worten, die zu einem Sprachgebilde werden, das überflutet, an sich und mit sich reißt. Und so ist man dann spätestens nach diesem zweiten 1. Satz an Gloria verloren, so wie Jimmy es schon immer gewesen ist. Oder wie es scheint, dass er es schon immer gewesen ist. Denn Gloria wird in diesem Buch erst durch Jimmy geboren. Und dafür braucht er die Huren. Ein absolut einzigartiger Roman. Ein Trip. Im Abgrund leuchtet die Sehnsucht nach Schönheit am hellsten. Wir waren berauscht!
(Unbedingt sei erwähnt, dass Thomas Melles Übersetzung kongenial ist.)


Weniger kryptische Begeisterung und echte Hinweise zum Inhalt etca. --->HIER


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