Paganini, der Kater, in der Redaktions-Konferenz:
Kinder, da müssen wir hin. Theater-Shooting-Star 2016. Ersan Mondtag.
Traumverloren, dieser Name.
Wir sind in 2017. Das wird knapp, das wird Zeit.
Die Berlinale läuft uns nicht davon!
Und so hatten wir Zeit. Und gingen hin.
Zur Premiere von "Antigone und Ödipus".
Zur Premiere im
Maxim Gorki Theater.
"Mut, Zuversicht und Humor" im Kopf, leiten uns.
Antike Tragödie führt schließlich zur Befreiung.
Doch damit wird es wohl nichts. Zumindest nicht Hier und Heute im Spielfiguren-Kosmos
von
Ersan Mondtag.
So dämmert uns nach 5 Minuten. Nach 10 Minuten wollen wir gehen.
Wir haben Sehnsucht nach
Michael Thalheimer. Oder zumindest nach
Pasolini.
Wir fühlen uns nicht berührt durch diese schreienden, travestie-schrillen Wechselbälger auf dieser schiefergrauen Bühne mit violett kostümierten "Performern".
Wir wollen keine Performer. Wir wollen Schauspieler. Wir wollen Menschen.
Ur-Bilder von Menschen:
Wir wollen
Ödipus und
Antigone.
Doch wir gehen nicht. Zuerst hält uns, ja, der von
Paganini, dem Kater, vielzitierte und stets ersehnte, nicht wirklich erklärbare "Bumms".
Der liegt in einem archaischen Schrei, dem roten Faden der Inszenierung, ein Schrei, der komisch ist, da er dem Wahnsinn gleicht (dem fast peinlich berührendem), der nach der Traumatisierung Einzug hält.
"In Mind", oder so.
Es gibt nichts zum Mitfühlen, da nichts an Irgendwen zu erinnern scheint, den wir kennen.
Individualisierung findet nicht statt. Die Schauspieler spielen mehrere Rollen. Die Rollen, die sie spielen, sind Platzhalter wie im Märchen: Der Alte, der König, die Königin etca.
Und
Antigone? Sie ist nur Idee. Mal die Idee von Terrorismus. Mal die Idee von Erlösung.
Antigone ist immer Utopie!
Wir sehen also:
Mondtag-Kosmos-Mutanten mit zitternden Trippelschritten im
Queen-Eliesabeth-Outfit. Allesamt Unisex. Allesamt also Trans-IrgendwieundIrgendwas,
Stereotypen ohne Bekanntheitswert und nicht tradiert in unserem Theater-Erfahrungs-Pool.
Ein junger Typ erlaubt sich sein eigenes Spielfeld herauszufiltern, aus
Sophokles, Durs Grünbein, Hölderlin und
Soeren Voima.
"Ungeheuer ist vieles. nichts ungeheurer als der Mensch".
Das singt hier irgendwann
Ödipus in
Zarah Leander-Manier.
Ach, es wäre so leicht, diese Inszenierung zu verweigern!
Wir bleiben bis zum Schluss.
Denn nach 10 Minuten können wir nicht mehr gehen.
Da sind es bereits die Bilder, die uns halten:
Der choreografierte Tattergang dieser zitternden Kreaturen, die sich
gerade noch aufrecht halten können.
Ohne sich gegenseitig zu stützen. Es sei denn, in entfremdeten Ritualen der Erinnerung.
Erinnerung an das, was Tragödie ist. An das, was Menschsein ist.
An das, was verantwortliches Handeln ist.
Hier wird Alles zum Comic und zur puren Oberfläche.
Dahinter ist das Chaos der Verzweiflung spürbar, jenseits jeder Möglichkeit von Therapierbarkeit.
Und ist der Mensch auch unentrinnbar an der Götter Schicksal unterworfen, so kann er doch Stellung beziehen.
Ödipus tut das bei S
ophokles. Antigone auch.
Ersan Mondtag glaubt nicht mehr daran. Er kann dies Glück seinen Figuren nicht schenken.
Es gibt keine Götter. Das Unentrinnbare gibt es schon.
Das hat durchaus eine Ästhetik, eine Komik, eine Schönheit, eine Musik und einen Rhythmus.
Vorrangig aber ist es so furchtbar, dass es nicht (mehr) gefühlt sein darf.
Ein gelungenes Surrogat aus
Ödipus/Antigone als Science Fiction in 2017.
Paganini, der Kater, ist hingerissen.
Wir waren zur Premiere
HIER--->
Und dennoch: Ab Morgen ist Kino angesagt. "Elle" ruft.
Endlich wieder lebende Menschen und eine Geschichte!