Die wunderbare "Erzählung vom Schweigen" ...

Gedanken (weiterhin) zu Katharina Peters (auch auf dem Blog) besprochenem Buch.
(Kommentar unserer Chefredakteurin)


Katharina Peter hat die "Erzählung vom Schweigen" geschrieben. Das Buch bricht mit einem (unausgesprochenen) Tabu, manche bleiben stumm dazu, manche sprechen oder schreiben darüber ("verstörend", lautet 1 häufig  genutzte Vokabel) oder missverstehen es gar als "Abrechnung" mit der individuellen Familiengeschichte. Dabei  übersehen Letztere vollständig, dass diese "Geschichte", auf der historischen sowie psychologischen und systemischen Ebene uns ALLE (hier in diesem Land) angeht. WIR ALLE haben Großeltern und Urgroßeltern oder auch noch Eltern gehabt, die den 2. Weltkrieg miterlebt haben, die geflüchtet sind, die im oder am "3. Reich" mitgebastelt und dieses ursprünglich oft sehr wohl (zumindest schweigend) mitgetragen haben. 

Ich gehöre zu den Menschen, die einen sehr direkten Kontakt  zu Personen dieser Generation erleben mussten/durften/konnten, denn meine Eltern waren alte Eltern (Mutter 40, Vater 60 Jahre bei der Geburt des Nachzüglers namens: Moi). Ich könnte hier Vieles über die verhärtete Mutter erzählen, die zig mal traumatisiert durch den Verlust des geliebten Bruders (gefallen, 17jährig), die Flucht aus dem "Sudetenland", bei dem sie Eltern  und Geschwister aus den Augen verlor und ihre Erfahrungen "im Tschechischen" gewesen ist. Damals war sie 1 Teenager. "Im Tschechischen", 1 Begriff, der mir oft sowohl triumphal als auch wegwedelnd als Kind um die Ohren flog, wenn ich etwas monierte. Nein, ich war nicht im Tschechischen, ich war nur in dieser schrecklichen Familie. 
1 Frau, wie ein Monster und 1 Frau, wie eine Mutter.

"Dir geht es viel zu gut", sollte das heißen, wollte sie damit sagen.
Und: "Du wärest die Erste gewesen, die man in 1 Konzentrationslager gesteckt hätte". 
Das sagte sie auch oft zu mir, damals war ich vielleicht gerade mal eingeschult worden. Ich weinte, wenn sie mein Geschwister schlug, Ich schrie, wenn sie vor meinen Augen 1 Fliege aus der Luft fing und zwischen Daumen und Zeigefinger zermalmte. Ihr Stolz, wenn sie dann in meine Augen schaute, das Ungeziefer musste eben weg. Und sie konnte das, hatte die Härte dazu. Dann wieder ihre Erzählung, dass ALLE, WIRKLICH ALLE gewusst hätten, dass es nicht gut gehen könnte: 
"Als sie den Juden den Stern umgehängt haben". 
Ich liebte sie in solchen Momenten des Anstands, der Wärme. Danach wieder Schläge für das Geschwister, das linkshändig schrieb ...

Der Vater, der schon 33 begeistert in die NSDAP eintrat, aus einer Familie voller Generäle stammt (Oh, unsere  herrliche Ahnen-Galerie im Esszimmer an der Wand, sorry, aber im Stillen liebe ich die noch immer), es selber gerade mal zum Obergefreiten schaffte, dann zur SA gehörte,  die "entarteten" Künstler liebte,  jüdische Freunde warnte, dennoch bis zuletzt (mir gegenüber) Hitler verteidigte, um dann jeweils am Ende der Rede zu sagen: "Er hatte halt einen Juden-Knall!" 

Der jüdische Freund, der ihn besuchte, da war ich ungefähr 10 Jahre alt, er kam aus New York, schüttelte meine kleine Hand,  der Vater habe ihn gerettet. Meine Mutter flüsterte mir später ins Ohr, dessen Frau habe ihr zum Abschied gesagt, sie sei "Arierin"  und ihrem Mann aus Liebe gefolgt.

Meine Mutter starb recht jung, sie beteuerte, in ihrem (bei der Beerdigung mit Wagner-Musik) vom Pfarrer verlesenen  Brief an die Hinterbliebenen, ihre Unschuld, dankte allen, erwähnte jeden ihrer Lebensbegleiter per Namen (mit Ausnahme meiner Person). Mord gewissermaßen durch Nichtbenennung. Tod durch Schweigen. Meine Mutter starb, bevor ich mein Schweigen brechen konnte. 
Ich war, mit meinen Fragen und meiner Skepsis, schuld an ihrem Tod.

Mein Vater starb 96jährig in einer Alters-Residenz. Er war senil, der einzige Satz den er in seinen letzten Wochen von sich gab, war folgender: "Ach, haben sie schon wieder 1 Juden weggebracht"!
Sein Vergehen an seinen Kindern erwähnte er nie. 

Zuvor starben 2 Brüder von mir. 1 beging Selbstmord als ich Kind gewesen bin, der andere später.
Und immer hat es geheißen: "Sag in der Schule, dass dein Bruder unheilbar krank gewesen ist ...
Oder: "Er war halt nicht lebensfähig".

und ich tat so, wie mir geheißen  ...



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