Der wunderbare Buchanfang: XXIX. Teil!

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.

Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Heute ein Buch, das seinen Titel großzügig diversen Verfilmungen schenkt und gleichsam nach Einmaligkeit schreit.


Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz

Dies Buch berichtet von einem ehemaligen Zement- und Transportarbeiter Franz Biberkopf in Berlin.
Er ist aus dem Gefängnis, wo er wegen älterer Vorfälle saß, entlassen und steht nun in Berlin und will anständig sein. 
Das gelingt ihm auch anfangs. Dann aber wird er, obwohl es ihm wirtschaftlich leidlich geht, in einen regelrechten Kampf verwickelt mit etwas, das von außen kommt, das unberechenbar ist und wie ein Schicksal aussieht.
Dreimal fährt dies gegen den Mann und stört ihn in seinem Lebensplan. Es rennt gegen ihn mit einem Schwindel und Betrug.


Boncuk, der Kater, präsentiert BERLIN ALEXANDERPLATZ


Dreimal schwarzer Kater. Dreimal Berlin Alexanderplatz. Man kann nie genug davon bekommen?
Doch, man kann. Aber man kann auch eine ganze Menge von dieser Wucht - und es ist immer eine - in sich reinschaufeln. Man kann sich ein bisserl den Magen verderben, vielleicht. Aber man wird es (vermutlich) nicht recht bereuen.

Zum Einen und Allerersten die Lektüre: Was Alfred Döblin da vor dem Leser ausbreitet und vor ihn hinschmeißt, das ist ein wahrer Brocken "Welt"-Literatur. Viel Welt und viel Sprache. Ein dicker Schinken (560 Seiten TB), der manchmal schwer verdaulich aber nie ungenießbar ist. Ein derber, frecher, virtuoser und schließlich sprachberauschter und berauschender Genre-Mix aus Bänkel-Gesang, expressionistischem Groß-Gedicht und eigenwilligem Bildungs- sowie Gesellschaft-Roman. 
Kurz, das Menschheits-Buch eines Berserkers. Dazu natürlich, der Titel weist darauf hin, versprachlichte Großstadt-Melodie. Berlin wie es laut ist und grell ist und schnell ist, dass einem schwindlig werden muss. "Die Wagen tobten und klingelten weiter, es rann Häuserfront neben Häuserfront ohne Aufhören hin. Und Dächer waren auf den Häusern, die schwebten auf den Häusern, seine Augen irrten nach oben: Wenn die Dächer nur nicht abrutschten, aber die Häuser standen gerade..." In dieser zischenden, tanzenden, dröhnenden Stadt, das ist der Trick, kann alles jederzeit ins Rutschen kommen. Und Franz Biberkopf rutscht. Und der Abgründe sind gar Viele!

Zum Zweiten, ganz nah und liebend am Buch und dennoch (natürlich) emanzipiert durch die Umsetzung in das Medium Film: Rainer Werner Fassbinder und seine Mammut-Fernseh-Serie "Berlin Alexanderplatz". Auch dies eine brachiale Zumutung, eine Mixtur aus Volkstheater-Style, Stummfilm-Flair und Fassbinder-Künstlichkeit. Günther Lamprecht und Gottfried John. Welt-Klasse!
Die "Mini-TV-Serie" (Wikipedia!) zelebriert 15,5 Stunden lang diese Welt des Berlins der 20er Jahre und diese Welt des Franz Biberkopfs und diese Welt des Fassbinder-Kosmos mit all seinen Getreuen, wie Schygulla, Sukowa, Mira, Hermann und und und natürlich dem unvergleichlichen Peer Raben, dessen Musik seine Dichte, Spannung und Rhythmus zum Bild hinzugibt. Kongenial! 
Dazu die Döblin zitierende, sanfte Stimme des Regisseurs aus dem Off. Eine gewaltige Übersetzungs-Leistung des Romans in adäquate Kino-Kunst. Adäquat, weil wahlverwandt. Döblin und Fassbinder passen naturgemäß gut zusammen. 
Nochmals schwärmerisch aber muss hier die Magie im Zusammenspiel von Lamprecht und John genannt sein. Diese verstrickende, schicksalhafte Beziehung, bestehend aus Anziehung und Abstoßung, aus innerem Zwang geboren scheinend, wie er Planeten miteinander bindet oder das Insekt zur zerstörenden Kerze bringt, das verkörpern diese Schauspieler im Miteinander derart  glaubwürdig, dass sich schwer nur ein neues Couple namens Franz B. und Reinhold im Kino denken lässt. Diese Beiden sind einfach betörend!

Zum Dritten nun: Burhan Qurbanis Neuinterpretation und Aktualisierung des Stoffs. Soeben im Passage-Kino gesehen. Noch immer wackelig auf den Beinen, nach 3 Stunden im dunklen Raum - mit Blick ins grelle Bunt der Schrecknisse hinein. Durchaus viel Wiedererkennungseffekt. Und das ist anerkennend gemeint. Die Unterteilung in Kapitel, eingerahmt von Pro- und Epilog, geben auch hier zu bloßem Plot und Bildern das Parabelhafte hinzu. 
Da die Geschichte des Franz Biberkopf ins Hier und Jetzt der Flüchtlingsunterkünfte verlegt wurde, entzieht sich Qurbani geschickt der Verpflichtung, sich sozusagen im Schatten der gewaltigen Vorlage bewegen zu müssen. "Neu interpretiert von Regisseur Burhan Qurbani", so steht es vorsorglich bereits auf dem Plakat geschrieben, das im Entree zum Kinosaal auf die Verfilmung einstimmt. 
Und doch ist viel Franz Biberkopf geblieben (dagegen wenig Sichtbares von Berlin und Alexanderplatz). Qurbani hat Respekt vor Döblin und er hat Hochachtung vor Fassbinder
Letzteres zeigt sich in kleinen Zitaten, vorrangig dort, wo es um Reinhold geht. Nicht nur Schuch verbeugt sich in Anleihen vor John, auch die stampfenden Bässe der Musik beruhigen sich dann und lassen den Flötenton (des Rattenfängers) hören, dessen sich Peer Raben (allerdings weit exzessiver) bediente. Ja, Reinhold! 
"Wenn Du das Böse siehst, schau hin und geh weiter!" So sagt man doch manchmal. 

3x Reinhold und 3x wird nachvollziehbar, wie schwer es sein kann, einer unguten Verführungskraft zu widerstehen. Albrecht Schuch ist zutiefst glaubwürdig in seinen Facetten und Brüchen. Dagegen hakt es in der sogenannten Psychologie der eigentlichen Front-Figuren Franz-Francis und Mieze. Durch die Übersetzungs-Arbeit des Regisseurs in ein Flüchtlings-Schicksal hinein, werden manche Entwicklungs-Sprünge und Entscheidungen des Protagonisten zu sehr durch "äußere Umstände" erklärt. Der Schuldkomplex des Überlebenden wird als Selbstbestrafungs-Wunsch angeführt, der indes nicht wirklich zu einer Vielschichtigkeit sondern eher zur Verflachung der Figur des Franz führt. Auch die kecke Mieze scheint in dieser modernisierten Fassung durchaus genau zu wissen, was sie will. Und sie ist weit davon entfernt, nur naiv und gut zu sein. Sie wird so in ihren Vorwürfen gegen Francis unglaubwürdig. Hier wirkt manches geglättet und aufgesetzt. Das geht insgesamt auf Kosten der emotionalen Identifizierung des Zuschauers mit den Helden und auch mit dem Held als Antiheld. 

So hält man sich in dieser Fassung der großen Geschichte noch am Leichtesten an Reinhold. Der bleibt  wenigstens klar erkennbar als zutiefst zerstörter und deshalb zerstörender Mensch.

Nachtrag zum Vierten: Heinrich George als Franz Biberkopf, in der 1.(2 Jahre nach Erscheinen des Buchs) Verfilmung des Romans. Der große Heinrich George gab wohl den Anstoß zu diesem Stück Kino, dessen Ästhetik durchaus noch an den Stummfilm erinnert. Immerhin gelingen interessante Bilder der dröhnenden Großstadt Berlin. Außerdem ist der Film natürlich eine hinreißende Solo-Nummer für den Mimen, wobei der Rest an Figuren mehr oder minder untergehen muss. Dennoch ist diese filmische Bearbeitung natürlich auch aus film-historischen Interesse unbedingt sehenswert!



Boncuk, der Kater, in der Redaktionskonferenz:

"Da rollen die Worte auf einen an, man muss sich vorsehen, dass man nicht überfahren wird, passt Du nicht auf auf den Autobus, fährt er Dich zu Appelmus. Und nun weg, mit dem Schmöker, muss auch mal wieder ohne gehen..."

Und ein erleichtertes Schnurren breitet sich aus, in den Räumen der Paganini´s-Redaktion!


Lesenswert: Tom Tykwer in der FAZ zu Fassbinders BERLIN ALEXANDERPLATZ--->

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