Der wunderbare Buchanfang: XXXI. Teil

 

"Ein Buch, das nicht mit einem Paukenschlag anfängt, lese ich nicht!"
(Zitat von Paganini, dem Kater)


Die Paganini´s-Redaktion will sich dieser Polemik nicht zu Hundert Prozent anschließen.
Und doch bleibt es unbestreitbar: Die Verführungskraft der ersten Zeilen eines Buches entscheidet sehr wohl darüber, ob wir es tatsächlich zu Ende lesen, oder frühzeitig zur Seite legen.

Deshalb in loser Folge bei Paganini´s:
"Der wunderbare Buchanfang!"

Heute ein Buch, das keine Werbung nötig hat, da aktuell in aller Munde:

Christian Kracht, "Eurotrash"

I.


Also, ich musste wieder auf ein paar Tage nach Zürich. Meine Mutter wollte mich dringend sprechen. Sie hatte angerufen, ich solle doch bitte mal rasch kommen, es war ganz unheimlich gewesen am Telefon.


Foto mit Cover by Paganini´s

 
Gemach, gemach, könnte der werte Leser, die werte Leserin nun denken: Ist das denn nun ein Paukenschlag von einem wunderbaren Buchanfang? Oder ist das, nüchtern betrachtet, vielleicht sogar weder ein Paukenschlag noch ein wunderbarer obendrein?

Christian Kracht ist so berühmt, so berüchtigt und so Kult, dass er natürlich mittlerweile sehr anfällig für kritische Betrachtungsweise, bis hin zu einem abfälligen "DEN lese ich nicht!", geworden ist. Was er sich freilich auch erst erarbeiten musste. Dennoch - oder gerade deshalb - stürzt sich die Meute der KritikerInnen Buch um Buch erneut auf ihn und rauf und runter in den Feuilletons wimmelt es dann von Kracht, Kracht, Kracht. 
Nun also dieses "Eurotrash" mit schickem, absolut "Arroganz" assoziierendem, Cover und das wird dieser Tage dann auch noch (von den meisten der namhaften Kultur-Seiten) mehr als nur lobend rezensiert. 

Wozu da noch ein "wunderbarer Buchanfang" in einem Berliner Kultur-Blog, wenn doch die ersten Zeilen von "Eurotrash" noch nicht einmal unbedingt selbsterklärend "ganz außerordentlich fabelhaft" anmuten könnten? Ist diese Blog-Redaktion derart verarmt, dass sie die ruinösen knapp 19 EURO für das E-Book zumindest in einem Post verwerten muss, ohne dass ihr, vom nicht existenten, Kassenwart das Fell über die Ohren gezogen wird? (Ja, wir sind, ganz nebenbei!)

Bevor wir, die Paganini´s-Redaktion, nun also auch einen ganz kurzen, enthusiastischen Senf zu Krachts Neuling in den Äther geben, sei darauf verwiesen, dass der Buch-Anfang - der nun doch über die hier abgedruckten Zeilen hinaus geht - sehr wohl ein Paukenschlag ist. Erstens.
Und zweitens: Die Redaktion hat sich im Laufe der (gar nicht langen) Lektüre, in dieses Buch verliebt. Ja, wir lieben dieses Buch geradezu. Nicht zuletzt, weil es ein liebendes Buch ist, das der Herr Kracht da hingeschrieben hat. Manchmal "hingerotzt", könnte man fast meinen, aber eben insgesamt brillant gekonnt niedergeschrieben. Und vor allem: LIEBEND!

Zum Ersten nun: Der stilistische Paukenschlag liegt im "Also", das auf den inhaltlichen Paukenschlag  des Buchanfangs verweist. "Dazu muß ich außerdem sagen, daß ich vor einem Vierteljahrhundert eine Geschichte geschrieben hatte, die ich aus irgendeinem Grund, der mir nun leider nicht mehr einfällt, Faserland genannt hatte". Bumm! Pauke! Bumm! 

Mit "Also" beginnt auch dieses hier erwähnte "Faserland", der Erstling dieses begabten "Schnösels" Kracht. Und wenn sich Christian Kracht gleich zu Beginn von "Eurotrash" zu eben dieser Autorschaft bekennt,  dann darf der Leser mit Recht im Weiteren Bekenntnisse, Bekenntnisse, Bekenntnisse erwarten. Die Bilanz eines großen Schriftstellers scheint hier angekündigt zu werden. Na, wenn das kein Paukenschlag ist, was bitte dann...?!

Zweitens: Die wirklich interessanten Bekenntnisse finden sich dann eher auf eine sehr bedeckte Art und Weise. Die Fakten der aneinander gereihten Familiengeschichte, väter- und mütterlicherseits, fühlen sich eigenartig "dahin erzählt" an. Die Nazi-Vergangenheit der Vorväter einerseits, das blasierte Angeber-Gehabe des neureichen Emporkömmlings (Vater) andererseits. Es fallen natürlich reichlich abfällige Bemerkungen, die aber etwas durchaus unpersönliches vermitteln, etwas allzu nahe liegendes für unser aller Blick als Gegenwärtige. Zumal diese Historie der Familie Kracht hinlänglich bekannt ist. Selbstzerfleischende Bekenner- und Aufarbeitungs- Lektüre, mit anschließender "Neuwerdung", liest sich normalerweise total anders. 

Und wenn genau hier, nach diesem 1. Viertel des Buchs, der Leser und die Leserin in Richtung leichter Enttäuschung tendieren wollen, da folgt eine Aufwärtsbewegung gen Fiktion und Himmel - sehr speziell, überraschend und toll - als würde Kracht nun erst lässig anfangen, mit den Flügeln der Literatur zu schlagen. Da trägt er die Leser mit sich fort, hinein in eine andere (und doch die gleiche) Geschichte. Und Mutter und Sohn kommen in Bewegung. Das Road-Movie beginnt.
 
Damit setzt die (bereits erwähnte) Liebe ein. Einmal die Liebe zur Mutter. Er denunziert sie nicht. Sie darf zur Fiktion werden (und damit lebendig!). Und noch einmal die Liebe zum Erzählen, zur Literatur. "Ich hatte immer gelebt in den Träumen, in den Gespenstern der Sprache". Zumindest für die kurze Spanne der Lektüre taten wir das auch. Ein schönes Buch!


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