Der wunderbare Zauberberg...

 ...und das Geheimnis (die Verwirrung) der Zeit


Das Deutsche Theater Berlin und Sebastian Hartmann verzaubern das Internet mit der Livestream-Premiere der Bearbeitung von Thomas Manns Klassiker



Foto: Tilo Baumgärtel


"Wie verändert die Corona-Pandemie das Theater und seine Stellung in der Gesellschaft?"
Dieser Frage wurde dieser Tage in diesen unseren Zeiten vom wundervoll tapferen und tätigen www.nachtkritik.de nachgegangen (in Cooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung) und heraus kamen sehr diverse Meinungen in allen Schattierungen zwischen "gar nicht" und "ganz und gar" im Sinne einer Neu-(Er)Findung. Tituliert wurde die Konferenz mit "Das Postpandemische Theater", weswegen uns - in der hauseigenen Paganini´s-Konferenz - die Frage umtrieb, ob wir uns im Moment genau dieses "post" vorstellen können, da wir uns zur Zeit noch immer im "mittendrin" aufhalten.

Das Corona-Virus ward auf die Welt geschickt und wahrgenommen. Damit verschwindet das "prä" und ein "post" ist - trotz optimistisch machender Signale (Impfstoff) - nicht gegeben. Die Konferenz musste folglich in einem "was wäre wenn" verbleiben, konnte Utopien entwerfen oder sich ins Althergebrachte zurück wünschen. 

Und dennoch: was diese Pandemie noch im Schilde führt und welche Antworten wir als Gesellschaft, Individuum oder eben als THEATER geben werden, das wahrhaftig zu entdecken steht noch aus. Vermutlich werden die Antworten auch im "post" divers ausfallen. 

So bleibt zunächst also die Gegenwart der allgegenwärtigen Pandemie und das Hier und Jetzt. Und da sind die Theater einmal wieder ein Teil des Lockdowns (light!!!), nachdem sie ächzend aber ohne murren, bereits die "sicher-mit-Corona" Türen öffnen durften.

In dieser kurzen Spanne gab es Schelte (Och, alles wie gehabt) und Jauchzen (Hauptsache Theater-Theater). 
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Nun also Vorhang auf, für das echte Pandemische Theater. Das Theater des "mittendrin".
"Der Zauberberg" hat werbend gefunkelt und uns zu Hause abgeholt. 
Die Premiere von Sebastian Hartmanns Version des Mannschen Klassikers wurde (direkt und zeitgleich) aus dem (Publikums-)leeren Deutschen Theater Berlin via Bildschirm übertragen.

Und wir haben uns so sehr darauf gefreut. 

Und sind gestern "dabei" gewesen. So wie man eben "dabei" sein kann, wenn man zur selben Zeit zwar, sich dennoch in einem "anderen" Raum befindet. Dieses pandemische Theater spaltet den virtuellen Raum der Übertragung (das Internet) vom eigentlichen Raum des Geschehens (der Theater-Bühne) ab. Es musste sich folglich mit einem Vermissen auseinander setzen. Und im besten Fall dem Vermissten etwas Neuartiges (Zusätzliches) schenken. Und siehe da, Sebastian Hartmann und seiner Crew gelang ein kleines Wunder. 
Man könnte es auch mit Hartmanns Bildsprache so ausdrücken:

Dann kam ein Schneesturm auf, fegte über die Bühne des DT-Berlin und von dort die letzten Reste bloßer Theorie aus den Köpfen der Zuschauer, von denen auch nach 2 Stunden immerhin noch zwischen 2000 und 3000 gebannt den Atem anhielten. "Das hatte Bumms", würde der ehrwürdige Ur-Vater Paganini sagen und damit kurz und bündig Sebastian Hartmanns Sinn für überbordende Bilder und (emotionale) Dramatik auf den Punkt bringen. Mit den Dramatikern und ihren Texten geht dieser Regisseur nicht wirklich zimperlich um, doch auch das Zerrupfen der Stück-Vorlage dient (in der Regel nachvollziehbar) der Herstellung  von psychologischer Dichte und Verdichtung (Emotionalisierung)  des großen Themas. 

Aus Thomas Manns "Zauberberg" destilliert dieser Abend das Thema Zeit (und Raum) und in diesen (verschwimmenden) Koordinaten den Mensch. Wie ins Unendliche (Weiß) hinein geworfene Objekte, so stapfen diese Wesen in  ihren weißen Fatsuits, mit weiß geschminkten Gesichtern, hilflos nach einem Bezugspunkt suchend im Kreis. Es wird viel geweint. Es wird häufig "Ich muss sterben" gewimmert, gebrüllt, geächzt. Und aus dieser Verzweiflung über das entfremdete Irren durch eine bezugslose (abhanden gekommene) Welt, zeigt sich zitternd die Frage: "Wie leben"?

Die Kamera fängt die Gesichter der Schauspieler oft in Großaufnahme ein, zeigt die Verzerrung der Münder, die weit aufgerissenen Augen. Bilder von entsetzten Seelen. Blicke ins Bodenlose. Auf das Weiß der Haut projiziert, manchmal Überblendungen, die an afrikanische Masken oder Totenköpfe erinnern.

So hat man das freilich im Theater-Saal noch nie zu sehen bekommen. Ja, die Kamera spielt an diesem Theater-Abend im wahrsten Sinne des Wortes mit (und eine weit wichtigere Rolle, als gemeinhin durch Video-Installationen auf der Bühne gewohnt). So entsteht - gegen den Verlust des Gewohnten - ein Neues, ein wunderbar schillernder Hybrid, ein Gesamtkunstwerk aus Theater, Film und Videoinstallation. Das verstärkt die Intensität, sorgt auch zu Hause vor dem Bildschirm für die Unmittelbarkeit des (rauschhaften) Erlebens.

Erst die Entscheidung von Produktion und Deutschem Theater Berlin für diese Livestream-Premiere haben es möglich machen können, dass der ZEITGEIST (geprägt vom Virus) eine derart herausragende Rolle im Stück besetzen konnte. Die Pandemie schien allgegenwärtig, so durch den Zoom in den leeren Theatersaal hinein oder mit dem Kamera-Blick auf MaskenbildnerInnen mit Schutzbrillen, deren Hände zuvor vom Desinfektions-Mittel gereinigt wurden.

Unendlich berührend auch die Szene, in denen ein weinender Einsamer einem anderen weinend Isolierten die Hände (im Wunsche nach tröstender Umarmung) entgegen streckt. So erschütternd funktioniert das nur in diesen, unseren Zeiten von Corona.

Am Ende Lachen, Erleichterung, Verbeugen der Schauspieler.
(Die klatschenden Hände des Regisseurs in der Tiefe des leeren Saals!)
Begeisterung, Gänsehaut, Berührtsein bei uns. Und viel, viel Jubel in Social Media.

Endlich wirklich gelungenes, im besten Sinn aufregendes "Pandemisches Theater". 

Bravo!




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