Das wunderbare "The Lobster"...

 ...und der wunderbare, eiskalt-witzige Regisseur Giorgos Lanthimos






Es gehört manchmal zum Ruhm eines Regisseurs dazu, dass er irgendwann - als europäischer Wunderknabe - in Richtung Hollywood schaut. Da werden dann (im besten Fall) die Filme, in der typischen Weise zwar - aber mit internationalen Super-Stars - gedreht. Das ist aus künstlerischer Sicht nicht zwingend notwendig, manchmal aber stört es nicht sehr.

Colin Farrell musste in diesem Fall schon ein wenig demoliert werden (optisch), um hier genügen zu können, doch ansonsten ist nicht viel zu bemängeln. (Bis auf die Erzählerinnen-Stimme, die in ihrer Deklarierung der zu sehenden Bilder, an die Audio-Deskription für Blinde erinnert). 

Und plötzlich, da wir das aussprechen: Aha, aha! Nun fällt der Groschen. 
Doch sehen (nein, hören!) Sie selbst...:

Ja, es geht auch um Erblindung. Aber erst am Schluss. Davor geht es um Lobster (= Hummer). Und um Hunde. Um Tiere aller Art. 
Und um das gesellschaftliche Diktat, das vorgibt, ausschließlich zum Wohle der Mitglieder einer Gruppe zu existieren. (Siehe/Höre "Audio-Deskription" - wie vorbildlich!)

Der Zuschauer folgt in diesem Film einem Mann, gerade erst unglücklich verwitwet, der mit seinem Collie, einem schönen, braven Hund, der einst sein Bruder gewesen ist, in ein staatlich geführtes (und zwangsverordnetes) "Hotel" eingewiesen wird. Singles - egal welchen Alters und welcher Coleur - haben hier ein paar Wochen Zeit, um sich zu einem Paar zusammen zu schließen. 

Das Hotel wird sehr freundlich (aber auch ungeheuer konsequent) geführt. Wer nicht in der vorgegebenen Zeit (trotz Tanzabend und Vorstellungsrunde) einen PASSENDEN Partner findet, wird in ein Tier (seiner Wahl) verwandelt. 

Ein Single gehört hier einfach nicht zu einer funktionierenden, humanen Gemeinschaft!

Mit dieser (willkürlich) formulierten Grund-Regel dreht es sich (wie immer bei diesem Filme-Macher) um das Wesen (und die Abgründe) menschlicher Gesellschaften, die es in ihren diversen (Selbst-)Verstümmelungen nur gut zu meinen scheinen. 
Dabei gehen sie sehr stringent, humorlos und rigide (selbst gegen minimale Abweichungen) vor und scheinen längst vergessen zu haben, was der Mensch von Natur aus ist. 

Das individuelle, kreatürliche Wesen, mit seinen Bedürfnissen und Regungen, wird ins Surreale und Dystopische gedrängt, umflutet von Irrationalismen, wie sogar vermutlich die Liebe eine ist.

Und so geschieht es, dass die ORDNUNG eines gesellschaftlichen Systems als verheerende Diktatur erscheint, die  (im jeweils besten Glauben) genau das herstellt, was sie bekämpft:
Nämlich Dystopie (geboren aus unheilvoller Utopie) und Irrationalität!

Unkontrollierbares im Homo Sapiens. Das macht dem (gut gemeinten) Kontroll-Versuch von gesellschaftlichen Glaubens-Sätzen Angst! 

Der Regisseur sorgt für eine eisig anmutende, dramaturgische Ordnung in seinen Filmen. 
Und dadurch für Grauen. Und für Horror auch. 

Alles scheint Versuchs-Anordnung.

Der Zuschauer, dem indes die REGELN beigebracht werden, in dessen Rahmen sich die Handlung bewegt, schwankt selbst zwischen Anerkennung und Ablehnung dieser Gesellschafts-Prinzipien. 
Egal, wie überzogen sie scheinen, der schale Wiedererkennungseffekt ist rasch da. 
Und damit eine unerwünschte Identifizierung. 

Das ist sehr unangenehm. Das muss man nicht lieben.
Aber man kann.

In dieser (dramaturgischen und visuellen) Perfektion, erinnert der Film an die akribische Wikipedia-Beschreibung z.B. solcher Wesen, wie Lobster es sind.
Man erfährt etwas von einem fremdartig scheinenden Organismus und merkt zu spät, dass in der Überzeichnung die Erkenntnis liegt:
"Die Pleura können sich gegenseitig überlappen oder nicht und sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Form von taxonomischem Interesse. Die ersten beiden Schwimmbeine sind Bestandteil der Fortpflanzungsorgane. Das erste Paar der Männchen ist verhärtet, während das der Weibchen zweigliedrig und beweglich ist..." (Wikipedia, The Lobster)

Der Mensch wird - mit sezierendem Verstand betrachtet - bei Lanthimos zum Un-Mensch. 

So, wie der Hummer zum nicht-fühlendem Insekt wird, das in kochendem Wasser bearbeitet, wohl schmeckt, aber naturbelassen stören würde.

P.S. Die Paganini´s- Redaktion ist durchgehend von Lanthimos eigenwilliger Handschrift fasziniert, empfiehlt jedoch das Oscar-prämierte "The Favourite" bei weitem nicht als den interessantesten Film des Regisseurs.



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