Die wunderbare "Melissa kriegt alles":
Mit Rene Pollesch eröffnet das Deutsche Theater Berlin die neue Spielzeit
Theaterplakat DT-Berlin, Foto@Paganini´s |
Es ist schon paradox. Da ordern wir, die Paganini´s-Redaktion, online die Tickets der untersten Preis-Klasse, sitzen im "Olymp" und sehen die -auf Leinwand- projizierten Schauspieler-Götter nur mit abgeschnittenen Köpfen. Dies ganz profan geschuldet, den persönlichen Zeiten des (sagen wir mal) eher knappen Geldes. Und doch lassen wir uns per Taxi zum Deutschen Theater Berlin sowohl hin- als auch zurück kutschieren und finden nichts dabei. Dies, wiederum sehr profan, geschuldet der Bequemlichkeit, die eine gute Ausrede kennt, nämlich die U-Bahn in ihrem aktuellen Gefahren-Zustand. Und später dann, während des eigentlichen Ereignisses, dem wiederum dies ganze Drum und Dran zu verdanken war, erfahren wir, dass dies Verhalten nichts anderes als Kommunismus ist. Denn der besteht, so hören wir, aus dem Paradoxon des Zweifelns bei gleichzeitiger Akzeptanz von ALLEM. Ob diese Behauptung, heraus gefiltert aus Rene Polleschs jüngstem Stück "Melissa kriegt alles", stimmt oder nicht stimmt oder ob wir (in Trance versunken) dies alles einfach falsch verstanden haben, ist uns (Pollesch sei Dank) schnurzpiepegal. Vollkommen schnuppe!
Und das tut richtig, richtig gut!
Oh, was sind wir froh und dankbar, dass wir keine Kritik oder Rezension über diesen ersten echten(!) Theaterabend (nach gefühlt unendlich vielen Online-Darbietungen) schreiben müssen. Da würden wir schwitzen und ächzen müssen und am Ende jämmerlich versagen. Wie kann man, wie soll man dieses Stück in Worte fassen, wie erklärlich machen, was da auf der Bühne passiert und was gleichzeitig nicht passiert.
Denn Kritik zu üben bedeutet doch auch, darüber zu schreiben, was als fehlend empfunden wird. Gerade in diesen, unseren Zeiten des "Leben mit dem Corona-Virus". Da fehlt ja doch wahrlich so unbeschreiblich viel! (Oder?)
Doch nur nicht verplappern. Straight Eins nach dem Anderen. Wie es diese 6 Schauspieler auf der Bühne zumindest gar nicht tun. Denn die verplappern sich vehement und da führt dann Eins zum Anderen und ergibt dennoch so gar keinen rechten Sinn. Am Beginn kriegt "Melissa alles" und am Ende steht das Entsetzen (oder besser: die Wehmut), dass der Verlust (von etwas Kostbarem/Geliebten) durch einen Ersatz kompensiert zu werden üblich ist.
Und dennoch lässt sich beschreibend so gar kein Bogen fassen.
Springen wir also ganz an den Anfang unseres Theater-Abends. Da konnte man schon unwirsch werden. Im Feuilleton nennt sich das "fehlender Resonanzraum". Wir nennen es, wiederum profanisiert, die Abwesenheit von Trauben erwartungsfroher, zeigefreudiger Menschen, die sich in der Theater-Bar schon mal mit Schampus einstimmen können.
Im Ernst, ein lauer Alt-Weiber-Sommer, ein ausverkauftes Stück im großen Haus des Deutschen Theaters zu Berlin - und weit und breit kein Service-Stand, an dem man auf die Schnelle zu seinem Glaserl Weißwein käme. Bei diesem ausgedünnten Besucher-Andrang, bewaffnet mit Masken, sollte das möglich sein. (Nein, in der Kantine wurde ausgiebig gekocht, ignoriert und nicht "ausgeschenkt").
Also hieß es -mies gelaunt und gänzlich unbetäubt- den Pfeilen nach, um endlich auf dem Sitz zu landen. Ironisch-symbolisches Hihihi und jede Menge Ersatz für uns, DAS PUBLIKUM, macht teuflische Begrüßungs-Freude, denn "Melissa" hat vorgesorgt. Wir blicken erstaunt in die Gesichter einer erwartungsvollen Besucher-Meute aus Zeiten der eng besetzten Theater-Bestuhlung. Kaum geärgert und kaum amüsiert, dann geht es auch schon auf der Bühne los.
Und: Surprise, surprise, da wird dann tatsächlich - an einem von Rene Pollesch kreierten Abend - ein ziemlich typischer Rene Pollesch gezeigt. Huch??? Und das in diesen, unseren Zeiten, wo bleibt denn da, wo ist denn da, ja, wo findet sich denn da:
a)DIE RELEVANZ
b)DER ZEITBEZUG
c)DER CORONA-BEZUG
d)DIE NEUERFINDUNG
und
e)DIE METAMORPHOSE VON THEATER???
Uns alles schnuppe, uns alles wurst und uns alles obendrein schnurzpiepegal (s.o.)!
Ein Puppenhaus steht auf der Bühne, die Farbe Quietschbuntrot korrespondiert possierlich mit der behaupteten Kommunismus-Tapete in Schwarz-Weiß, eine überragende Kathrin Angerer ruft nach ihrer Katze ("Komm zurück, kleine Shiva des Militärkommunismus") und ein (schon immer zutiefst russischer!?) Martin Wuttke stampft mit dem Fuß, wie ein verschusselt, dementer Möchtegern-Revolutionär. Und alle 6 Schauspieler agieren zusammen wie nur Kinder spielen, selbstvergessen, anrührend und teilweise versunken im Miteinander und Ohneeinander. Und wieder Einer gibt als Autor und Regisseur den roten Faden vor und wir schauen zu.
Das Publikum hat sich scheinbar nach mittlerweile 5 oder 6 (?) Vorstellungen aus der Lethargie befreit. Es nimmt begleitend ziemlich lauten Anteil. Bis zum Schluss.
Dann nämlich donnernder, trampelnder, johlender, grölender (kurz: begeisterter) Applaus.
Und wir klatschen auch. Bis die Hände schmerzen. Mit Gänsehaut.
Das war kein Ersatz. Denn da ist kein Verlust.
Nur THEATER!
Parallel zu dieser Theaterproduktion hat René Pollesch mit dem Ensemble aus Melissa kriegt alles außerdem einen Film gedreht, der am 23. September erstmalig im DT gezeigt wird:
"Непский проспект – Nepski-Prospekt"
Wir waren HIER ----->
Zur Filmpremiere v. Rene Pollesch HIER---->
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