Die wunderbare "Endstation...

...(namens) Sehnsucht"!


Michael Thalheimer und das Stück von Tennessee Williams im Berliner Ensemble
(Die Chefredakteurin berichtet von der Premiere)


@Matthias Horn
Erwartungen hasst er, der Michael Thalheimer. Er hasst sie ungefähr so sehr wie Requisiten, von denen es dann folgerichtig in seinen Inszenierungen fast keine oder sehr viele gibt. Und weil ich vor der Vorstellung, der Premiere von "Endstation Sehnsucht", diesem Psycho-Spiel von Tennessee Williams, natürlich dann doch noch einmal den Film-Klassiker mit dem Raubtier Brando und der verletzbaren, leicht angestaubten Elfe Vivian Leigh gesehen habe, fällt es mir nun, auf dem Weg zum Berliner Ensemble, ziemlich schwer, mir vorzustellen, wie ich durch willentlichen "Wegwurf" meiner nicht steuerbaren Erwartungen, dem eigenwilligen Wunsch des Regisseurs entgegen kommen könnte, in Richtung "weit weg vom Film" zu denken, so wie er sich das, in Vorgesprächen seiner Umsetzung des Stoffs, gewünscht hat.

Ein Stoff übrigens, der wieder einmal vom Intendanten des Hauses vorgeschlagen worden ist.
Drama, Baby, Drama. Aber zeitgenössisch. Oder so.

Thalheimer und dieser, geradezu psychoanalytische, an Freud geschulte Text, Thalheimer und Kazans Filmvorlage, Thalheimer und massenweise auf ihn einstürmende Erwartungshaltungen, wie zum Beispiel auch diese, dass, wenn er schon weit weg vom Film-Klassiker inszenieren will, er dann doch sich selbst (also den Regisseur M. T.) zitieren müsse, indem, am Ende und am Anfang und zwischendurch, Ströme aus Blut die Bretter der Bühne in Scharlach färben. Denn Blut, diesen besonderen Saft, den mag er, der Thalheimer.
Und Trommeln!

Erwartungen, Erwartungen, wie soll ich Euch entkommen!

In die schaukelnden Sitze der S-Bahn geschmiegt, versinke ich in fast delirierenden Vor-Stellungen, getriggert durch das, was man als Thalheimer-Vorurteil in den tiefsten Tiefen seines Theatergänger-Unterbewusstseins abgespeichert hat:
Ein grandioses Nichts aus Grau, das wird die Bühne sein und hie und da die Farbe ROT.

Im Mittelpunkt, sehr konzentriert (hinter Gittern vielleicht) zwei Box-Kämpfende oder zwei Ringende, die sich umschleichen, umtänzeln und auf den K.O.-Schlag warten. Kowalski und Blanche!
Jeder für sich und jeder für den Anderen.
Zwei wie Archetypen, zwei von unterschiedlicher Coleur, das "Animalische" versus "Dekadenz" beispielsweise oder das "Dionysische" (bereits lädiert) gegen das "Apollinische" (sehr lädiert).
Endstation Sehnsucht entpsychologisiert und entschlackt. Herunter gebrochen auf Archaik.
Hach!

@Matthias Horn
Gelb-Schwarz grüßen die wehenden Fahnen. Good bye, my personal  "streetcar named desire". Ich bin da.
Und auf geht´s, zur Realitätskontrolle, nun in den roten Samt des Sesselchens meiner Tribüne gefläzt. Erwachend aus meinen Träumen, hinein in Jene, aus Thalheimers Vision:

Olaf Altmann, dessen "schlichte und ergreifenden" Bühnenbilder dem System Thalheimer einen originären Stempel aufgedrückt haben, findet für "Endstation Sehnsucht" eine, in die bronzene Metallwand eingelassene "schiefe Bahn", einen beklemmenden Raum der Enge, der von Ferne auch an den Querschnitt eines sinkenden Schiffs erinnert, dessen Rumpf noch einmal in den Himmel ragt, bevor vollständig im Dunkel versinkend.
Dieses Bühnenbild ist bestimmend für die Atmosphäre und Spielweise der Inszenierung. Es raubt mir sofort den Atem, erhöht die Spannung und verdichtet die Handlung im wahren Sinne des Wortes. Nein, Naturalismus ist das natürlich nicht, denn den mag der Regisseur auf der Bühne nicht leiden, dafür aber sinnige Chiffre aus den Labyrinthen der Psychologie, also doch wieder irgendwie verwandt mit Formen der Antike, diesem Ur-Pool des kollektiven Unbewussten.

Sprache und Personenführung erscheinen mir (im Vergleich zu Kazan) entmelodramatisiert, dafür roher, rauer, klarer. Jawohl, der Film ist Film, ab hier hat er in meinem Kopf nichts mehr verloren und die großartigen Theater-Schauspielenden, allen voran Cordelia Wege als Blanche - mit zappelndem Fingerspiel und dennoch auch mit Willenskraft - und Andreas Döhler als Stanley - in seiner Verletzbarkeit noch gefährlicher lauernd der Gewaltausbruch - überrennen mein Gedächtnis und knipsen sie aus, die zuvor neu gespeicherten Film-Bilder, die zum Vergleich herhalten sollten. 
Runtergerissen ist das Stück durch Thalheimer auf die Gewalt des nackten Überleben-Wollens widerstreitender Kräfte, am Ende unterliegt die vollständig zerstörte Blanche, dieser Fremdkörper in Stanleys Welt, von diesem niedergerissen und sadistisch zerspielt. Die Realität des Animalischen (Das Recht des Stärkeren) verbittet sich Schönheit, erst recht jene, die der virtuellen Welt der Fantasie entspringt. Lebenslügen indes blühen, hier wie da, was das Zeugs hält und werden notfalls mit der Faust zum scheinbaren Recht geschlagen.
Ein intensiver Abend!
Nichts für zarte Gemüter. Aber etwas für die (momentan ziemlich aufgewühlte) Berliner Theaterwelt!
Nämlich Theater, für das man hier ist, gerne, trotz Allem, in diesem Moloch Berlin!
Der deutsche Titel "Endstation" ist von statischer Endgültigkeit, sanfter mutet da das englische Original an, Bewegung durch die "Motivation des Verlangens" implizierend.
Mit dem Taxi nach Hause! Endstation!
Keine Sehnsucht mehr. Ich bin satt. Für den Moment!




 
Ich war zur Premiere----> HIER

Und ein schönes Gespräch mit Michael Thalheimer:
"Kunst entsteht aus Schmerz"!
http://www.deutschlandfunkkultur.de/regisseur-michael-thalheimer-theater-das-wehtut.970.de.html?dram:article_id=415176
und hier: "Was heutzutage fehlt, ist Moral"!
https://www.morgenpost.de/incoming/article214058527/Was-heutzutage-fehlt-ist-Moral.html


Boncuk, der Kater, mit grünglasigem Blick in der Redaktionskonferenz:

Einmal den Stanley Kowalski geben, ein einziges Mal.
Ach, meine Täubchen!
Ihr würdet den Brando sowas von aus dem Gedächtnis schmeißen, sowas von rausbrennen würdet ihr den, der hat doch abgekupfert, nur eine lausige Kopie gegeben, mit seinem Schleichen und seinem Fauchen. Er wollte sein, ICH aber BIN!
Gääähhh! Grrr!

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