Die "Kinder des Paradieses" und...

...die Liebe!


Nach dem Film von Marcel Carné und Jacques Prévert in der Inszenierung von
Ola Mafaalani am Berliner Ensemble





Foto@CC
An diesem Abend ist der Kater und Ex-Chefredakteur mit von der Partie. Wir sitzen im Olymp. Olympischer geht der Olymp im Theater nicht. Unsere Plätze im Berliner Ensemble befinden sich im 2. Rang, letzte Reihe, außen rechts. Außen rechts ist der neurotischen Natur der jetzigen Chefredakteurin geschuldet: "Fluchtweg muss möglich sein"! Die letzte Reihe dagegen geht auf das Konto des Katers. Erstens ist der inzwischen zum "Schatzmeister" unserer Redaktion avanciert und zweitens ist er, neben der damit einhergehenden Pragmatik, ein großer Idealist:


""Die Kinder des Olymp" schaue ich NUR im Olymp"!
 
Voila, es lebe der poetische Realismus! Auch wenn "Kinder des Olymp" die sinngemäße Übersetzung des filmischen Zauber-Werks "Les Enfants du Paradis" ist und die Regisseurin Ola Mafaalani nun die wortwörtliche mit ihrem "Kinder des Paradieses" auf die Bühne bringt. Das große Haus des BE jedenfalls sieht dem Theatre des Funambules täuschend ähnlich. Wir fühlen uns sofort auf unseren Sitzen wie Statisten des filmischen Originals und würden am liebsten wie diese, leger die Beine über die Schulter des Vordermannes baumeln lassen.  

Doch wir befinden uns im Hier und Heute und nicht in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Paris und wir werden auch nicht eingerahmt, auf unserem Sitz, vom einfachen Mann, der sich johlend vor Begeisterung, mit billigem Fusel im Jackett, die Zeit vertreiben möchte. Nein, Illussion ist Illussion und wir bleiben still und artig inmitten des Berliner Premieren-Publikums. Zumal die Zeit der Entstehung des Films zwischen 1943 und 1945 unter deutscher Besatzung, nicht gerade ohne war und "Mund halten" durchaus das Überleben sichern konnte. „Es galt, sich anzupassen und unsere Begriffe von Gut und Böse zu ändern. Es galt, wenn ich mich so ausdrücken darf, sich eine akustische Moral zuzulegen. Gut war, was schwieg.“ (Albert Camus, "Paris schweigt")

Einmal nur schwieg Carne nicht, einmal nur fiel er auf einen ziemlich perfiden Trick der Gestapo rein und schon war es geschehen, um die Unversehrtheit von Einem seiner bunt gewürfelten Film-Crew: Kollaborateure, Antisemiten, Juden, Kommunisten, Nationalisten, Widerständler. 
Die Liebe zu diesem Stück Film-Kunst, gab allen den einen, vereinenden Raum. Zumindest für die Zeit des Drehs.

Das Licht geht aus. Es öffnet sich der schwere Vorhang nicht. Nicht wie im adaptierten Film. Denn der muss einen Vorhang zeigen. Der Film als Welttheater-Abbild. Heute nun Theater als Film-Adaption. Oder als Film-Zitat. Da braucht es ihn nicht. Den Vorhang. Schön!

Die Regisseurin hat bereits ihr Faible für die Umsetzung legendärer Film-Stoffe in Theater mit "Himmel über Berlin", "Clockwerk Orange", "Borgen" und Fellini-Inspiriertem inszeniert. Nun also "Kinder des Olymp". Nicht nur ein großer, einzigartiger Film. Nein, auch ein sehr geliebter Film. Ein von sehr vielen Filmliebhabern, aber auch von weniger Kino-Bewanderten, überaus geliebter Film. Dieser Film ist Kunst und dennoch auch Kintopp:  Die Musik schwelgt. Die Charaktere sind liebenswert. Die Darsteller schön. Ein ästhetisches Schlaraffenland. Zeitlos und universell. Pralles Kino! Ein Wunder dennoch!

Oh, arme Ola Mafaalani. Wie muss sich das angefühlt haben, als der Intendant (der "neue" BE-Intendant will man inzwischen gar nicht mehr sagen) Oliver Reese vorgeschlagen hat, "Les Enfants des Paradis" zu bearbeiten?

Der Vorhang tut sich am heutigen Abend also nicht auf, denn das ganze BE ist das Theatre des Funambules. Ein "blinder" Übersee-Bananen-Verkäufer hat uns bereits am Eingang, als wir noch warteten (um zu rauchen), fast angerempelt, so echt, dass wir uns bei ihm entschuldigt haben. Nun steht er auf dem Bühnenraum in Schiefergrau-Tönen  (dem Schwarz-Weiß des Film-Vorbilds huldigend (?)) und mit ihm entsteht die Theater-gewordene Erinnerung der "Kinder des Olymps".

Garance ist wirklich Garance, hier wie da, in ihrer Lebens-Klugheit unerreichbar.
Unerreichbar auch für die Männer, die sie zu lieben glauben. Oder die es wirklich tun. Eben auf ihre, jeweils eigene Art. So wie die Liebe Illussion und Wahrheit nicht auseinanderhalten will. Auch die 4 Männer, die um diese Frau/Sonne kreisen (müssen) wie Planeten, werden von uns wiedererkannt, als aus der Leinwand herausgetretene "Altvertraute": Da ist Baptiste und Frederick und Lacenaire und der Graf. Fast genau so, wie uns erinnerbar. Nur losgelöst von Zelluloid und Großaufnahme. Wie intelligent durchdacht ist das, dass Mafaalani auf Video-Projektionen ihrer Schauspieler verzichtet!

Sympathisch insgesamt, wie bescheiden die Regisseurin in ihrer Interpretation hinter den Film zurücktritt. Das Vorbild steht eindeutig im Zentrum, mit dem es hier nicht zu konkurrieren gilt. Sie beschränkt sich  darauf, den Film (in Text und Bild ) theatralisch zu skizzieren. Wir empfinden es nahezu als Beschwörung, wenn sie ihr Schauspieler-Ensemble dazu bringt, nicht ein Drehbuch zu interpretieren, sondern die Interpreten des Drehbuchs zu spielen. (Katrin Wehlisch als Garance  alias Arletty sei hier exemplarisch genannt). Dass das kein Plagiat wird, ist dem Kunstkniff zu verdanken, die Szenen, die wir Zuschauer sehen und erleben, von der "gealterten" Arletty kommentieren zu lassen. Und da ist Ilse Ritter natürlich perfekt gewählt. Was könnte diese Frau erzählen, von Thomas Bernhard und Peymann und Wien, von Skandalen, Grandezza und Überhaupt.  Nun also erzählt sie als Arletty vom Filmdreh zu "Les Enfants des Paradis".

Ilse Ritter ist die Fußnote des Abends, die unprätentiöse Grande Dame, die von Verrat und Liebe und Loyalität in verqueren, destruktiven Zeiten plaudert. Die Musik von Eef van Breen bietet einen Kontrapunkt (zumeist Spannung und Beklemmung verdichtend) zum Original.  

Theater Heute soll politisch sein. Es soll kritisch sein. Es soll Position beziehen.
Ola Mafaalani sagt mit ihrer Inszenierung: Macht einfach KUNST. 
Das ist immerhin Etwas. Und manchmal viel mehr, als alles Andere.

Ein schöner Versuch. Insgesamt gelungen.


Foto@Matthias Horn

Aus der Redaktionskonferenz:

Nun diskutieren Kater und Redaktion (mit roten Köpfen) über der Frage, wie ein Zuschauer den Abend empfunden haben muss, der die filmische Vorlage nicht kennt.

Jawohl, was wir, die Paganini´s, nicht wissen, macht uns irgendwie heiß!
 

 
 
Wir waren zur Premiere HIER----->
Hintergründe zu den Dreharbeiten des Films in schweren Zeiten im "Spiegel" HIER---->


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