Kapitel No. I.
TickTack-TakTik
I. Episode in 3 Szenen!
Hinweis: Ähnlichkeiten mit lebenden oder nicht mehr lebenden Personen sind rein zufällig, aber denkbar!
Gustav Klimt, Der Kuss |
TICKTACK-TAKTIK
Ein Prekariatsroman
I
Alles satt! Ich habe alles, alles satt!
Denkt sie.
Ich habe den Alltag satt! Und ich habe das Helfen satt! Ich habe den Mann an
meiner Seite satt! Und ich habe es satt, die Einkaufstüten über dem
Fahrradlenker nach Hause zu transportieren! Satt habe ich diese Wohnung! Und
satt habe ich diese Stadt! Satt habe ich diese Stadt und satt habe ich diesen
Tag! Diesen Tag habe ich satt und den vorherigen Tag habe ich auch satt und den
morgigen Tag habe ich Heute schon satt! Satt habe ich Alle! Alles nur noch satt!
Und dann schmeißt sie sich auf das Bett, das im Wohnzimmer die Couch ersetzt
und ihr Körper vibriert vor lautlosem Schluchzen, das sich schließlich doch
Raum erobert, gehört zu werden. Und so hören an diesem Tag auch die Nachbarn
jener Dame ein Weinen, das Geheule genannt zu werden verdient. Ein Heulen vor
Wut und ein Heulen aus Kummer. Ein Heulen, geboren in tiefsten Tiefen, genährt
aus angestauten Gefühlen fast jeglicher, unguten Art. Als ihr Mann, drei
Stunden nach dem Beginn dieser seltenen Attacke aus Weltschmerz und
Kraftlosigkeit, den Schlüssel im Schloss umzudrehen beginnt - in der
wohlig-unbewussten Vorfreude auf Heimatklang, gewoben aus Wohnen und
Gemeinschaft in Vertrautem - da entgleitet der Schlüssel wegen eines Reflexes,
wie ein Zittern, der rechten Hand und fällt auf den steinernen Boden des
hallenden Treppenhauses. Klingringklingklingkling, wird das Klirren zum Echo.
Was soll schon sein! So beruhigt ihn ein geschwind zu Hilfe eilender Gedanke
und tapfer wie ein Kriegsheimkehrer öffnet er, diesmal erfolgreich, die Tür.
Das Bild, das sich der, nun doch nach innen kehrenden Männerseele bietet,
erstaunt ihn und erstaunt ihn nicht. Es erstaunt ihn nicht, weil es alljährlich
so ähnlich anzutreffen ist, was er sieht, es erstaunt ihn indes, da diesmal
alles intensiver und überdeutlicher, also geradezu von plakativer Gewalt, an
ihn zu appellieren scheint. Ein Appell also, dessen Deutlichkeit nicht, mit ein
paar Küssen und zärtlichem Spiel mit den weiblichen Haaren, hinweggewischt
werden kann. Diesmal geht es also nicht so leicht wie sonst! Denkt er. Und er
erinnert sich noch Heute an diesen Gedanken, an diesem Tag. Und Heute ist
zweieinhalb Jahre später. Aber Heute ist auch das Heute des ersten Satzes dieser Schilderung jener Begebenheit. Also zurück in dieses vergangene Heute das Jetzt ist. Jetzt! Hypnospeak, Ja! Und da sieht es diesmal nicht gut aus,
für den Mann, dessen Atem nun schneller wird. Die Dame des Hauses ist Heute
stärker als er. Haha! Triumph! Triumph, den sie nicht einmal spürt.
Sie also hat es diesmal wirklich
satt! Sie hatte es schon oft satt! Aber dieses Mal könnte es Ultimo sein.
Ul-ti-mo! Darauf wartet er insgeheim. Das ist kein Warten als Hoffnung. Nein.
Er wartet insgeheim, dass es so käme, wie ein immer präsentes Vorwissen es ihm
einflüstert. Wie sollte sie das nicht satt haben, was alle Frauen irgendwann
satt haben würden, wenn ein besseres Geschick als Potential in ihnen
schlummert! Nun also ist es soweit! Unsicher sitzt er neben dem zitternden
Körper, der müde vom Weinen, gekrümmt auf der Seite liegend, um Atem ringt.
Seine rechte Hand, erneut vibrierend, schwebt über ihr in Höhe des Herzens und
traut sich nicht, die Luft zwischen Körper und Hand durch eine Abwärtsbewegung
in Schwingung zu versetzen. Nein, er getraut sich in diesem Moment, der Jetzt
ist, nicht, die Hand auf ihrem bebenden Körper zur Ruhe kommen zu lassen. Sie
scheint das auch nicht, wie sonst, zu erwarten. Sie wartet einfach auf nichts
mehr, in diesem Moment. Und das ist das Aussichtslose daran. Ich muss etwas
tun! Sagt er sich. Und so fasst er sich ein Herz. Und dreht seinen Kopf um
siebenmal 180 Grad, so scheint es ihm, weil sie den ihren, ihn durchschauend,
von ihm wegzudrehen beginnt. Doch er gewinnt noch einmal den Kampf, durch
Verrenkung und Zähigkeit, und gelangt zu ihrem Mund. Und da finden sie sich,
Mund an Mund, in diesem Moment und sind glücklich. Sehr glücklich sind sie. Und
so geht ihr gemeinsames Leben vorerst noch einmal weiter. Obwohl sie es
eigentlich satt ist! Aber heute hat sie es eben noch nicht satt genug!
Und am Abend diesen Tages, also
Heute, schreibt sie ihr Gedicht „Körperschluchzen“ und er sein Lied „Küsse auf
der Haut“.
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