Wo aber Gefahr ist...
...wächst das Rettende auch?
Friedrich Hölderlin, Pastell v. F. K. Hiemer |
Alle jubeln diesem Impfstoff entgegen.
"Oh Fittiche gib uns, treuesten Sinns, hinüberzugehn und wiederzukehrn“.
Die Meisten hoffen: Alles zurück. Alles auf vorher.
Zurück ins „Vor“ dieser vermaledeiten, dröhnend-drohenden Gefahr des Corona-Virus.
Alles auf Anfang also! Ach, das wäre herrlich.
Dieser Anfang einer Stunde Null
sozusagen. Am besten gleich den großen Reset-Knopf drücken dürfen, zum „Vor“
des Verzehrs eines gewissen Apfels. Damals. Im Paradies. Der Apfel ist
längst gegessen. Und der Apfel ist auch lange vergessen. Romantiker können noch
so sehr nach dem Ur-Zustand der Harmonie im goldenen Schnitt rufen. Kein Mensch
mit Grips im Hirn wird Glauben schenken! Der Zustand vor Corona war
schon lange vergiftetes "Dämmern im Zwielicht" der Menschheit.
Die
Sonne strahlt ungehindert in ihrer porentiefen Erwärmung, "der
schattenlosen Straßen" ging ich längst genug. Das Brathendl im Sinn, in
"der großen Seele, ruhigahnend den Tod".
Fleischproduktion auf Null
oder aseptisch ohne Tier, das lebendig. Hier tobt das Virus. Aber die gute,
alte Fleischproduktion auf immer möglich, wenn wir den Impfstoff (die Rettung)
haben?
Was also ist „Rettung“? Für wen, wann und aus welcher Perspektive? Mir schmerzt
der Kopf. Der Kaffee tut nicht wirklich sein hilfreiches Werk.
Heute, hier,
Ende 2020 in Berlin!
Was, wenn die Rettung außerhalb Meiner,
außerhalb der Menschheit läge.
Oder nur in mir. Oder nur in mir und meinen
Lieben. Was dann, liebe Welt?
„Das Haus und die Wetter Gottes“ rollen „ferndonnernd über die ahnenden
Häupter“, die nun „schwersinnend versammelt“ sind. Merkel, so
höre ich im Morgenradio, steckt mit Ihren Weisen samt Drosten die
Köpfe zusammen und sucht nach Rettung. Ich nippe weiter- mit bleischwerem Arm - an meinem grauen Milch-Kaffee. Vor mir ein weißes Papier, das
die Gefahren nun in schwärzestem Tinten-Nass aufsaugen und in Rettung
transzendieren soll.
Oha und oho!
Hoffentlich haben wir (habe ich) von der
Gefahr nicht ein Zuviel an Rettung erhofft!
Die größte Gefahr meines heutigen Morgens: Apathie, Lethargie, Gottergebenheit.
Gottergebenheit mit und ohne Gott, wohlgemerkt!
Das Blatt Papier ist bis hierher noch gar nicht gefragt worden.
Es gibt keine
Demokratie unter dem Leben mit den Dingen!
Wäre dieses Blatt vor mir auf der Tischplatte nicht doch vermutlich lieber aus
dem Holz nachhaltig an- und abgebauter Hölzer gebastelt, denn aus dem Regenwald
stammend?
Ist seine Rettung und die seiner Herkunft bereits vertan? Der Regenwald
ist abgebrannt, habe ich kürzlich gehört und gelesen, aber ich kostete damals,
also an diesem Morgen vor 4 Tagen, an einem Kaffee aus Nicaragua und
dachte, ich wähle demnächst GRÜN, dann sind wir vielleicht ALLE auf
einmal wieder der Rettung nahe. Und dann summte dies Lied in mir:
"Maikäfer flieg. Der Vater ist im Krieg. Die Mutter ist in Pommerland. Und
Pommerland ist abgebrannt...."
Meine heutige Nacht ist eine Gute gewesen, zu "wohnen in liebender Nacht" ist dieser Tage ein Geschenk und ich erinnere mich meines Traums sehr genau. Ein Koala nahm mich in seinen Beutel und dankte mit Stofftieraugen für seine Rettung durch Menschenhand. Und "nichts ein Übel ist", dachte ich im Traum, "denn göttliches Werk gleichet dem unsrigen". Wir wissen es (was?) nicht besser und der Höchste weiß es auch nicht, zumal der Gott spätestens mit Camus abgeschafft worden ist. Zumindest in literarischen Kreisen, in denen wir uns heute mit der Fragestellung nach „Wächst das Rettende auch?“ befinden und beschäftigen.
Hölderlin hin und Hölderlin her.
Und ohne jetzt abschweifen zu wollen, ich denke an diesem Morgen doch ein wenig darüber nach, welche unzähligen Rettungen aus widerlichen Gefahren heraus dieser Genius tatsächlich in seinem Leben kennengelernt hat (und wie viele Gefahren ihm willkürlich widerfahren und rettungslos angetan wurden). NACH der großartigen "Patmos"-Erkenntnis, dass das Rettende wächst, wenn eine Gefahr etca.p.p.in der Nähe lauert, hatte er eigentlich nie mehr etwas zu lachen. So sagt man doch auch, wenn keine Rettung in Sicht. Es hätte auch bei ihm natürlich noch schändlicher kommen können, als es zunächst mit der Zwangsbehandlung in der Irrenanstalt geschehen ist und danach mit einer Dauerunterbringung im Hölderlin-Turm für ihn weiter ging.
Aber RETTUNG?
Nun, Rettung scheint an dieser Stelle zumindest durchaus relativ gemeint
zu sein!
Natürlich, fast immer könnte es schlimmer noch kommen. Es gibt ja
dieses ebenso populäre Wort von dem Glas, das je nach Betrachtung halb voll
oder halb leer ist. Es gibt aber tatsächlich auch Gläser, die nur noch einen
Tropfen Nass beherbergen. Der Dichter-Gott wurde zum wundersamen
Vorzeige-Bär hinter den Mauern seiner neuen Heimat. Und zur Attraktion von
Touristen. Damit also noch ein weiteres Mal zu einer Berühmtheit.
Aber war das
eine RETTUNG?
Es "gilt dann Menschliches unter Menschen nicht
mehr".
Stattdessen nur noch das geflügelt Wort!
Immerhin
hat Hölderlin die Prozeduren bis heute überlebt. In dieser,
seiner Dichtung. Und ja, er hat physisch sogar lange durchgehalten. Ein
stoisch Überlebender, sozusagen.
Ist Überleben immer Rettung?
"Eilend geht es zu Ende": mit der Welt und ihrer Beschaffenheit. Der Kultur, der Kunst, der Humanität. Es ist eben immerfort das Gleiche. Der Gefahren gibt es Viele. Auf die Rettung gilt es als Überraschungs-Gast zu warten.
Und doch sitze ich hier, an diesem wackligen Küchentisch, an diesem gruselig-grauen Morgen, an dem es mir nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut geht und zerbreche mir den Kopf darüber, was sich schreiben ließe, um die Rettung (als solche) rettend einzufangen (Hehe!). Ich erhoffe mir durchaus täglich irgendetwas als Rettung. Ich weiß aber auch: Meine Hoffnung ist nicht unbedingt meine Rettung. Vielleicht wird sie von mir hier gerade fürchterlich verwechselt. Und vielleicht wird die Hoffnung von Vielen viel zu oft mit Rettung verwechselt. Von Hölderlin selbst, ebenso wie von jedem Tag und jeder Stund in diesem einen Leben, das wir als Namensträger haben. "Eilend geht es zu Ende". Von Geburt an. Tag für Tag. Stund zu Stund. Minute zu Minute. In jeder Sekunde und Milli-Sekunde.
Das Grau des morgendlichen Himmels des heutigen Tags simuliert die Summe aller
Möglichkeiten in dem Spektrum von wolkenweiß über himmelblau bis donnerschwarz.
Und wenn "die Himmlischen jetzt mich lieben", dann geben sie mir
einen klaren Kopf, der etwas Sinnvolles zum Kaffee – der da vor mir steht
- aufs Papier kritzeln lässt. Irgendwas in den Farben der Rettung, bitte schön!
Doch fürchterlich "still ist sein" (des Himmels über Berlin)
"Zeichen", am bald zerberstenden Firmament.
Was ist denn der Mensch und was bin ich, wenn nicht tagein, stündlich, minütlich und sekündlich in dieses Etwas zwischen Gefahr und Rettung geworfen? Ich weiß akut und ganz konkret, in diesen unseren Zeiten von Corona, nicht wirklich, wie ich die Miete bezahlen soll und wie es weitergeht, im tosenden Grau der hetzenden Menschheit. Diesem Grau, das aus allen möglichen Farben besteht und dessen Anfang und Ende zwischen weiß und schwarz gezeichnet wird. "Die Taten der Erde bis itzt, ein unaufhaltsamer Wettlauf." (Zu lang, "zu lang schon, ist die Ehre der Himmlischen unsichtbar").
Spätestens mit Camus ist Gott gestorben. Die Rettung lag und liegt scheinbar im Nichts. Darin der Mensch heroisch waltet. Und ich setze in diesem Sinn den Stift an und schreibe meinen ersten Satz auf das vor mir liegende Papier. Und ich suche mit dieser Bewegung noch immer (und trotzdem) nach Etwas!
Es ist nun Mittag. Der Winter-Himmel über Berlin, er ist ebenso grau, wie es
der Morgen-Himmel gewesen ist. Die elektrische Beleuchtung, Gott sei Dank, ist
o.k.
Das, in der Berliner Luft liegende Thema, diese Frage
nach der Rettung, nervt mich gewaltig.
Ganz wurst, ob von Hölderlin ins
Spiel gebracht. Und egal auch, dass in 2020 sein Jubiläum zu feiern ist.
Ein anderes Thema, als die Frage "wächst das Rettende auch?", wäre
mir lieber gewesen.
Aber das hilft ja nun nichts. Vielgesichtig ist die Gefahr. Und was sein
muss, muss eben sein.
"Auf daß gepfleget werde, der feste Buchstab". Ich versuche es
hiermit.
Darauf ein Hallelujah.
Alles passt gut!
Der Text ist inspiriert durch den Literatur-Preis "wächst das Rettende auch" der "Akademie für gesprochenes Wort" in Cooperation mit "PEN-Zentrum Deutschland" --->HIER
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