In Stanniolpapier...
…will ich gewickelt sein...
(Die Redakteurin hat sich nun endlich "In Stanniolpapier" im Deutschen Theater Berlin
angesehen. Und sie ist hingerissen.)
Ganz ehrlich? In dem Fall: Sei´s drum!
Gemeint ist der Ur-Text. Also der Grund des Theater-Skandals 2018. Entschuldigung Herr Deigner. Aber die Kunst muss tun, was die Kunst tun muss. Und die Kunst von Herrn Hartmann und auch die Kunst von Frau Pöppel musste GENAU so. Und die Kunst von den Herren Harder und Büttner musste ebenfalls so. Und das ganze "In Stanniolpapier" konnte gar nicht anders, als NUR so. Denn mehr Total-Theater ist nicht denkbar!
Das ist mein Resumee. Nach eineinhalb Stunden eines fordernden, intensiven, dichten Theaterabends.
Ein Theaterabend, vor dem ich mich gescheut -fast geängstigt- habe. Und ein Theaterabend, der sehr viel Aufsehen erregt hat, nachdem er unglückseligerweise im Rahmen der Autorentheatertage 2018 seine Premiere erlebte. Und der diesen eng gesteckten Rahmen sehr eigenwillig aufzusprengen wusste. Ein theatraler Grenzgang eben, ein überbordender Trip, der das umformen und rausschmeißen musste, was eigentlich den Anstoß zu seiner Geburt gegeben hatte: Den Text von Björn SC Deigner!
Dass dies so kommen könnte, ist allerdings vorhersehbar gewesen. Sebastian Hartmann äußert sich in einem auf Youtube zugänglichen Interview zu "Gespenster" bereits 2017 unmissverständlich zu seiner Herangehensweise an Textvorlagen.
In diesen wolle er, so sagt der Regisseur sinngemäß, eine eigene Geschichte finden, die ihn persönlich interessiere. Er fände diese in Sujets, Verdichtungen, Momenten eines Textes. Mit diesen Bruchstücken könne er viel mehr anfangen, als sich "auf den Zeitstrahl der Narration" zu setzen, hinter dem sich dann auch das Publikum zu bequem verstecken könne.
Der Text als Steinbruch also. Bei dem das unterste zuoberst gekehrt wird. Sebastian Hartmann genügen kleine, sinngebende Sprachfetzen (neben einem etwas längeren Intro) als dehnbare Fassung für einen Psychotrip, einen "Zustand" wie Linda Pöppel es nennt, der das Thema vielgestaltig zu einem fast schon gewaltsamen Übergriff auf den Zuschauer werden lässt.
In einem Meer aus Farben und wummernden Bässen versinken, tanzen, kämpfen und ringen die 3 meist nackten Körper. Die durch Tränen und Schreie und Geilheit verzerrten Gesichter abgefilmt auf Großleinwand. Es gibt kein Entrinnen Hier. Nicht für die Schauspieler, die zu ihren Figuren werden. Nicht für die Zuschauer, denen diese Überwältigungs-Ästhetik die Distanzierung verweigert. Hier bleibt nur: Abwehr oder Hingabe. "Jetzt bitte Schluss", das denke ich 2 Mal in diesem Höllen-Ritt. Jedes Mal zieht mich ein überraschender Kniff dieser Ästhetik erneut in den Bann.
Nein, es gibt kein Entrinnen!
Für diese Quintessenz, diese Lesart des Theater-Textes hat sich Sebastian Hartmann gegen dessen ursprüngliche Intention entschieden. Er glaubt der Prostituierten bei Deigner, genannt Maria, nicht die behauptete Selbstbestimmung.
"In Deigners Text kehrt Maria nicht ihr Innerstes nach außen, sondern es verhält sich gewissermaßen umgekehrt: Sie betrachtet sich selbst, aus großer Distanz. Mit seiner Inszenierung sucht Sebastian Hartmann nach genau diesem Verdrängten: nach dem, was hinter einer Oberfläche bebt, was unter einer Schädeldecke verborgen ist." (DT-Berlin)
Und so setzt er ein, der psychedelische Reigen, bei dem immer auch die psychologischen Facetten zwischen Täter und Opfer offenbar werden. Gerade hier nochmals ein dreifach Hoch den Schauspielern!
Am Anfang ist der Schmerz. Am Ende ist der Schmerz. Dazwischen ist der Schmerz.
Der Schmerz kommt in und durch Begleitung. Die Symbiose und die Abhängigkeit und die Verzweiflung ist immer im Gepäck. Die (un-)heilige Dreiheit aus Pöppel, Harder, Büttner gerät (und führt) immer tiefer in den Kreisel.
Am ENDE - endlich - Applaus!
P.S. Sehr gespannt darf man sein, wenn mit der ersten, echten Uraufführung des Deigner-Stücks eine ganz andere Version des vielschichtigen Themas auf die Bühne kommt.
Mehr zu dieser Aufführung im DT-Berlin HIER--->
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