Der wunderbare "Lear" und die "Politiker" ...

 ...in der Inszenierung von Sebastian Hartmann!

"Live-Stream-Premiere" des Deutschen Theaters Berlin


VORBEMERKUNG
 Eigentlich sollte schon damals die Bühnen-Premiere, vor diesen Ewigkeiten, also in 2019, unter "King Death" firmieren, wohlwissend, dass der Hartmannsche "Lear", hier liegend im Totenbett, nicht wirklich dem Shakespearschen "Lear" neues Leben einhauchen wird. Doch dann, und wen wundert es, blieb es eben bei der Nennung des Ur-Materials, dem "Lear" und dazu, hinten ran gehängt (aber sich im Nachhinein in den Vordergrund des Gesamt-Abends drängend) die "Politiker" von Wolfram Lotz
Heute, keine 2 Jahre später, in diesen Zeiten von Corona, gibt es eine neue Fassung als Live-Übertragung eines zeitgleichen Bühnen-Geschehens und somit die "Stream-Premiere". "King Death" findet in dem Einführungs-Video des Regisseurs zur überarbeiteten Bühnen-Fassung erneut Erwähnung, gehe es doch nun auch gesellschaftlich in besonderem Maße um die Frage, wie man dem Tod einen ihm gemäßen Respekt entgegen bringen könne. ---> siehe Video




Die Kritiken zur Premiere in 2019 waren nahezu durch die Bank so zweigeteilt wie der Titel des Abends. Mehr oder minder ein "Buh" bis "Naja" zum "Lear", dafür ein umso enthusiastischeres "Bravo" bis hin zum "Bravissimo" für die "Politiker". Die Paganini´s-Redaktion, dies sei erwähnt, hat die 2019-Inszenierung nicht gesehen, so dass die Vorfreude auf den heutigen Abend einerseits besonders groß ist, andererseits aber auch die bereits angelesenen "Urteile" im Kopf herum spuken.

Zuletzt total geflasht durch die Live-Stream-Premiere des Hartmannschen "Zauberberg", die durch die "Einladung" zum Theatertreffen allgemeine Anerkennung erhielt, muss dieser Abend nun damit leben, dass er mit diesem extrem berührenden und gelungenen Stream von Hartmann himself verglichen wird.

Außerdem wird heute genau unter die Lupe genommen werden, inwiefern die Neuinszenierung es schaffen kann, aus der aktuellen Situation tatsächlich stimmige Impulse in das Bühnen-Geschehen fließen zu lassen. Nun also "Vorhang hoch" und "Film ab" - es lebe der "Hybrid" aus Kino und Theater!
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NACH DEM STREAM-ERLEBNIS
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Puh! Nun erst einmal aufstehen, eine Runde durch die eigene Wohnung laufen, Katzen kraulen, einen Espresso trinken. Dazu das Fenster öffnen. Tief einatmen und tief ausatmen. Wieder Glieder recken. Nochmals den Pelz schütteln. Wach werden, wach werden. Aus der Bezauberung raus finden, aus der Betäubung raus, raus aus der Trance, weg von der Umklammerung dieses vollständig einzigartigen Abends. 
Wieder einmal hat Sebastian Hartmann und seine Crew es geschafft, sämtliche Erwartungen zu unterminieren und gerade deshalb einen echten Hartmann-Abend zu generieren. Jawohl, "KingDeath", das war der richtige Titel für diese ca. 100 Minuten aus Bildern, aus Rausch, aus Überforderung, aus Grenzgang, aus Sound, aus Überblendung, aus Schnitten, aus Animation (Tilo Baumgärtel-diese geniale Ergänzung des Regisseurs) und aus Film. 

Ähnlich durchwachsen, wie die Reaktionen der Zuschauer bei der Premiere 2019 im Publikum überliefert wurden, so sind sie diesmal im Chat zu lesen. Natürlich Lob für die Perfektion des Zusammenspiels von Dramaturgie, Schauspiel, Musik und Kameraführung. Hier und da eine sich überschlagende Begeisterung. Dazwischen allerdings für Stream-Theater auffallend viel Maulerei über den Sound-Teppich, der Worte schluckt und noch viel ärgeres Gejammer über die Unkenntlichkeit der Shakespearschen "King Lear"-Thematik. 

Und was macht Sebastian Hartmann, dieser Schurke? Er packt nicht mal seinen "Joker" der 2019-Inszenierung aus. Denn die "Politiker" fallen weitgehend wortwörtlich "ins Wasser". Nein, er wagt den "King Death". Es geht um den Tod. Um den Akt des Sterbens. Um die Flüche der Erben am Totenbett der Väter. Um die Verzweiflung und die Trauer eines endenden Lebens. Um den Zustand der Welt. Um den Zustand des Menschen. Um die Sehnsucht. Um das Unentrinnbare. Es geht auch um Politik. Um die Fragen der Verantwortung. Um den Hochmut des Menschen. Diesem Wahn nach Kontrolle. Seinem Verstoß gegen Welt und Natur. Und noch einmal, und noch einmal geht es um den Tod. Den Unbesiegbaren. Den letzthinnig Triumphierenden. Es geht um die Auslöschung. Und es geht um das Leben.
 
Immer wieder gibt es in diesem zweiten Live-Stream des Hartmann-Teams Zitate und Anklänge an den "Zauberberg". Der verzweifelte Schrei: "Wie soll man Leben!" ist hier wie dort zu hören. Auch ein Fatsuit zeigt sich. Ähnlich funktioniert das Zusammenspiel und die Wahl der künstlerischen Mittel, dies "Gesamtkunstwerk" gewissermaßen aus Worten, Musik, Spielern, filmischen Mitteln etca.p.p.

Vermissend vielleicht bei uns die Wahrnehmung, dass das (leere) Theater als Raum diesmal weniger sichtbar mit einbezogen wurde. Ein drehendes Rad (Schicksalsrad, Sonne und Spinnennetz), ein Krankenhaus-Interieur und Gänge, die überall sein könnten, nahmen dem Theater-Saal in diesem Stream sein charakteristisches Gesicht.

Dafür zauberhafter Einfall: Ben Hartmann bringt "Realität" in die Kunst-Bude, indem er auf seiner Gitarre "Ich will bleiben, wo ich nie gewesen bin!" schmettert. 
Am Ende Prozession der Schauspieler (den durchweg grandiosen!). Und wir verneigen uns.
Ganz großes Kino. Ganz großes Theater. Ein sehr würdiger "King Death".
Applaus, Applaus, Applaus!

Doch: Wie nun schlafen?





Mehr zu den Stücken und der Inszenierung --->HIER

Hier nun eine Sommer-Pause - Bis bald!

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