Rich makes poor...

...und poor makes rich...: 

"Oh Fortuna velut luna statu variabilis!" (Carmina Burana)


Ein ruhiges "Dorf". Mitten in Neukölln/Berlin. Pferdekutschen, Huf-Getrappel, Pferde-Mist, alte Bäume, Wilhelminismus in der giebelreichen Fassade possierlicher Altbauten, Grün:
Das ist Rixdorf und der Richardplatz, in dem "unser" Haus steht. 

Das sind (in einem Teil unserer Vielheit a la Precht) WIR, die Paganini´s-Redaktion.



Alle Rixdorf-Fotos@Paganini´s


Mit dem Beginn der Gentrifizierung Neuköllns zogen wir Ende 2006 ein, nun sind wir Hier.
Wir genießen es. Wir nerven uns damit herum. Wir spüren das Aufziehen immer neuer Spannungen. Wir leben damit. Nein, wir sagen nicht: Wie ruhig ist es hier einmal gewesen.

Es ist noch immer ziemlich ruhig. Auf den Hörsinn bezogen. Es  ist nur nicht mehr homogen. Und das hat viele Vorteile. Und manchen Nachteil. Vorrangig den einen Nachteil, dass die Spannungen zwischen dem Differenten stärker spürbar und sichtbar werden.






Und es gibt eben Tage, an denen wir der wachsenden Spannung in der Welt und in der immer noch wachsenden WELT-Metropole Berlin, gerne für eine Weile aus dem Weg gehen würden.
Das allerdings ist nicht möglich!

Als wir nach Rixdorf gezogen sind, lockte uns die geräumige Altbau-Wohnung mit Stuck und abgezogenen Dielen, das "Idyll" des dörlich-kleinbürgerlichen Miteinanders und -natürlich- der Mietpreis. 
Alles hier hatte seinen festen Platz. Der Bäcker, der Tante-Emma-Laden, die kleine Kapelle nebenan, aus der am Sonntag-Vormittag die Gesänge der Gemeinde-Mitglieder zu unserem Küchenfenster hinauf wehen. 
Ziemlich wüst endete jedes Mal (und verändert sich auch jetzt noch) der Charakter dieses Wohn-Gefühls durch das Überqueren der nahe gelegenen Karl-Marx-Straße und der Sonnenallee: Döner-Buden, türkische bzw. arabische Männer-Cafe´s, Geiz-ist-Geil-Läden und Woolworth-Filialen reihten sich hier aneinander.

Dazwischen die Altberliner Eck-Kneipen mit Billiard und Dart oder Flipper an der Wand. 
Umso verwunschener erschien -die immer schon große Pracht- des Saalbaus mit dem goldenen Cafe Rix.

Hier saßen die, die es aus anderen, verwöhnteren Bezirken der Stadt nach Neukölln verschlagen hatte.






Inzwischen ist das fest abgegrenzte und sehr friedliche Miteinander, nicht zuletzt durch ratternden Baustellen-Lärm, dauergestört. Auch die Karl-Marx-Straße wird von Amts wegen aufgemöbelt.
Die Anstrengungen der Gentrifizierung breiten sich also aus.

Begonnen haben sie allerdings im Kern. Im echten Rixdorf. Das sich langsam dem (mittlerweile hippen) Kreuzkölln anzugleichen beginnt.

Das Haus, in dem wir nun seit 10 Jahren leben, hat seither zum dritten Mal den Besitzer gewechselt. Mit jedem Wechsel wurde ein wenig saniert, stiegen natürlich auch Mietpreis und Nebenkosten. In der Laden-Wohnung des Hauses, die lange mit dauergeschlossenen Fensterläden als Lager-Raum diente, fand erst ein Bio-Laden seine Heimat. Und inzwischen ist sie zu einem, tatsächlich bezaubernden, Cafe verwandelt, das "Zuckerbaby" heißt.

Hier sitzen nun die Neuankömmlinge beisammen, die es in den letzten Jahren in die sanierten Wohnungen zog. Wir sitzen auch gerne dort. Aber wir kommen nicht umhin, die zunehmend angstvolle Stimmung wahrzunehmen, die aus dem Gefühl des Bedrohtseins entsteht.





  
So mancher Pachtvertrag wird nicht mehr verlängert. In jeder unbebauten Lücke des Bezirks steht ein Bauzaun, bald danach der Bau-Kran und dann ein ganzes, neues Haus-Gerüst:

"HIER ENTSTEHEN EIGENTUMSWOHNUNGEN!"
So steht es dann auf, in die Erde gerammten, Info-Tafeln.

Was dem Einen die "Info-Tafel" vor der Großprojekt-Baustelle, ist dem Anderen die Häuserwand:

 "RICH MAKES POOR!" ist da zu lesen, "YUPPIEH-SCHWEINE RAUS AUS NEUKÖLLN!" und Ähnliches.







Pamphlet mischt sich mit sachlich anmutenden Fragen.
Auch Philosophisches findet Raum.

Die Altberliner Kneipen schwinden und sind mittlerweile in der Unterzahl.





Die Richardstraße ist in der festen Hand (überaus höflicher und wohlerzogener!) junger Studierender, deren gutsituierte Eltern sie (aus den elterlichen Wohnstuben in Prenzlauer Berg) mit gutem Gewissen in den ehemals eher verpönten Bezirk entlassen (und eingemietet) haben.

Inzwischen haben wir die Qual der Wahl, wenn es um die Frage geht, wo wir abends etwas Essen gehen wollen. Das Cafe Rix ist lange nicht mehr die einzig denkbare Anlaufstelle.
In Rixdorf gibt es Bio, gibt es Vegan und gibt es Feinkost, dazu Pizzerien namens "Bohemia" und feinsinnig durchdachte Küche wie im schicken "Hallmann&Klee".





Noch warten geschlossene Läden im Dornröschenschlaf darauf, dass sie wach geküsst werden. 
Sie werden sich im Spiegel ihrer Kundschaft und Betreiber selbst nicht mehr wieder erkennen können.

Irgendwann werden auch die besagten Eltern aus Prenzlauer Berg sich in Rixdorf eingekauft haben.
Die GENTRIFIZIERUNG muss dann weiter suchen, nach einem neuen Kiez, den sie verschönern darf.
Bis dahin gilt es die Spannung auszuhalten, die eine jede Umbruch-Situation mit sich bringt.
Und die Frage:
"Wie endet die Gentrifizierung in Rixdorf eines Tages für uns?"

Denn wir wissen seit langem: 

"Oh Fortuna velut luna statu variabilis!" 




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