Paganini´s...

Motto von Paganini, dem Kater:
"Es lebe die totale Subjektivität des Feuilleton!"

Mittwoch, 13. August 2014

Kapitel No. 10



Gustav Klimt



X



Und Luise träumt. Große Uhren. Kleine Uhren. Deformierte Uhren. Gläserne Uhren. Zitternde Uhren. Ticktackticktackticktack. Ein ohrenbetäubendes Ticken im Chor. Eine der Uhren, eine daliesk Dahinschmelzende, scheint Luise die Zunge rauszustrecken. Raus. Und wieder rein. Und raus. Im Takt von Ticktack. Luise will fort. Fort aus diesem Traum. Luise liegt ausgestreckt in etwas Elastischem. Etwas leicht Schaukelndem. Sie dreht den Kopf zur Seite. Ein Gewebe. Ein überdimen-sionales, zartes, doch festes Gewebe. Luise will sich aus dem Stoff befreien. Doch ihre Arme kleben fest. Und ihre Beine kleben fest. Und ihr Rücken klebt fest. Luise schaudert. Luise versteht. Ein Spinnennetz. Das Gebilde aus Fäden schaukelt immer beängstigender. Etwas bewegt sich auf Luise zu. Über ihrem Gesicht zeigen sich traurige Männeraugen. Männeraugen im Kopfe einer riesigen, behaarten Vogelspinne. Wir Alle. Sagen ihr diese Augen. Hängen hier fest! Luise will schreien. Lars Dietrich. Erkennst du mich nicht. Und Luise wird wach und blickt in besorgte Männeraugen. Es sind die Augen von Lars Dietrich. Der sich über sie beugt. Über Luise. Seine Frau. Wie spät ist es? Fragt Luise erschreckt. Ertappt und erschreckt fühlt sie sich. Und Lars Dietrich, in seinem wunderbar warmen Bariton, sagt: Es ist Abend. Luise. Nicht spät. Kurz vor Sieben. Luise. Und dann legt er sich stumm neben seine Frau und wartet ab. Ganz selbstverständlich liegen Lars Dietrich und Luise nebeneinander und warten ab. Beide warten ab. Ob Luise oder ob Lars Dietrich zuerst etwas zu sagen hat. Du hast keine Ahnung, Luise, wie schrecklich das für mich ist. Lars Dietrich spricht als Erster. Es ist nicht immer schrecklich für mich. Aber es ist manchmal schrecklich für mich. Sehr schrecklich. Lars Dietrich spürt, wie sich der Körper von Luise spannt. Lars Dietrich spürt, dass Luise tot sein will. In diesem Moment. Lars Dietrich weiß, dass Luise nicht hören will, was Lars Dietrich sagen muss. Heute, an diesem Tag, drei Monate nach jenem Tag, an dem Luise ihre Angst entdeckt hat. Nein. Haucht Luise. Nein. Das darfst du nicht. Lars Dietrich. Das sollst du nicht. Lars Dietrich streicht über Luises rote Haarsträhne. Diese lockige Strähne, die sich immer wieder ins Gesicht hinein verirrt. Er schiebt diese Strähne zurück an die richtige Stelle, von der sie hergekommen ist. Sachte. Warte. Heißt das. Lass es zu. Heißt das auch. Ich bin dein Mann. Luise. Du musst mir zugestehen, dass ich fühle. Wie ich fühle. Was ich fühle. Sagt er. Sagt Lars Dietrich. Es ist schrecklich für mich, dass du dich quälst. Tag für Tag. Mit dem Geld. Es ist schrecklich für mich, dass ich in deiner Wohnung lebe. Und nicht in unserer. Es ist schrecklich für mich, zu sehen, dass du auf meinen Durchbruch wartest. Luise. Der nicht kommt. Luise. Vielleicht nie kommt. Der Durchbruch. Luise. Es ist schrecklich für mich, wenn ich weiß, wie satt du alles hast. Und es ist schrecklich für mich, wenn ich weiß, dass du es satt haben solltest. Es aber nicht satt haben willst. Wegen mir. Deinem Mann. Es ist schrecklich für mich zu wissen, dass es dir bei einem anderen Mann besser gehen kann. Als bei mir. Luise. Denn bei mir ist bei dir. Du sorgst für mich. Und du sorgst für dich. Und du sorgst für alle anderen. Die deinen Rat zu brauchen glauben. Doch für dich sorgst du zu wenig. Luise. Und wenn du mehr für dich sorgst. Dann fühle ich mich auch schrecklich. Denn dann blühst du neben mir. Ohne mich. Oh, Luise! Und Lars Dietrich krampft eine Männerhand über seinem Gesicht in sein Gesicht und weint. Und Luise will tot sein. Luise würde tot sein wollen. In diesem Moment, wenn sie nicht wüsste, dass ihr Mann dann auch tot sein wollen würde. Und das will Luise nicht. Luise liebt nämlich ihren Mann. Und der quält sich. Und der quält sie. Und sie liebt ihn, Heute, dafür, dass er sie quält. Mit seiner Qual. Und Luise lässt locker. Sie will nicht mehr tot sein. Sie wird ganz Leben. Ganz lebendiger, warmer, weicher Körper. Der flutet. Und Seele. Die flutet auch. Alles von Luise flutet zu Lars Dietrich. Der weint noch immer. Der Lars Dietrich. Und Luise sagt nun auch etwas. Luise sagt. Lars Dietrich. Du hast Recht. Du hast in jeder Hinsicht mit Allem Recht. Aber ich bin glücklich. Selbst wenn ich alles satt habe, bin ich glücklich. Und wenn es aussieht, als würde ich das für dich machen. Oder für uns machen. Dann mache ich das Alles doch im Grunde für mich. Weil ich dann glücklich bin. Ich weiß es nur nicht immer. Dass ich glücklich bin. Aber im Moment, da weiß ich es. Da weiß ich, dass ich glücklich bin. So. Wie es ist. In diesem Leben. In meinem Leben. In diesem Augenblick. Also fühle dich nicht schrecklich. Lars Dietrich. Bitte. Fühle dich frei! Und nun weint auch Luise. Und Lars Dietrich und Luise halten sich an der Hand. An der rechten Hand von Luise und an der linken Hand von Lars Dietrich. Und sie weinen miteinander um die Wette. Aus Rührung weinen sie. Und aus Überanstrengung weinen sie. Aus Müdigkeit weinen sie auch. Und weil Heute ein Damm gebrochen ist. Ein Damm bei Luise. Und ein Damm bei Lars Dietrich. Ein Staudamm angestrengter Höflichkeit, der alles hat Fernhalten sollen, was nicht zuzulassen ist. Heute, in der Küche, beim brainstormen von Lars und Lars und Luise ist er gebrochen. Der Staudamm. Und die Wahrheit hat Einzug gehalten. Und die Wahrheit ist nie verkehrt. So weiß die kluge Luise. Aber die Wahrheit ist immer gefährlich. Und der Lars Dietrich weiß das auch. Und in der Nacht, als bei Mann und Frau die Ebbe auf Flut folgen darf und die Augen wieder trocken und die Nasen geschnäuzt mit dem Mond um die Wette glänzen. Da können sie es doch nicht lassen. Die Luise und der Lars Dietrich. Und Luise schreibt ihr Gedicht „Das Netz der Spinnen“ und Lars Dietrich sein Lied „Glitzernde Träne“. Doch auch dieser Song bringt ihn nicht. Den Durchbruch. Für den Lars Dietrich. Den bringt etwas ganz Anderes. Heute. Vor einem Jahr. Also eineinhalb Jahre, nach jenem Tag, an dem Luise alles so satt gehabt hat. Aber das wissen sie noch nicht. Die Luise und der Lars Dietrich. Heute. In der Tiefe der Nacht. Drei Monate und einen Tag, nach jenem Tag, an dem Luise ihre Angst entdeckt hat. Und das ist auch gut so.




Paganini, der Kater, in der Redaktionskonferenz:

Kitsch as Kitsch can!
Ob nicht bald die ARD das Ganze als Vorabendserie...!?

Und ein tanzender, schwarzer Kater-Schwanz und ein Schnurren machen sich breit.
In der Chefetage der Paganini´s-Redaktion.


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