![]() |
Gustav Klimt: Schubert at the Piano |
V
Aber Lars Dietrich kommt nicht
nach Hause. Nicht an diesem Abend, einige Wochen nach jenem Tag, vor
zweieinhalb Jahren. Also heute Abend. Lars Dietrich kommt erst mit der Tiefe
der Nacht nach Hause. Nach Hause zu seiner Frau. Oder besser: In das Bett
hinein. Zu seiner Frau. In das Bett von Luise, der erschöpft Schlafenden. Genau
genommen, kommt Lars Dietrich erst am Morgen des folgenden Tages. Nach diesem
Abend, an dem Luise das Gedicht TickTack-TakTik geschrieben hat, in dieses
Bett hinein. Ein gemeinsames Bett, das
von Luise gesponsert wird. Es ist, noch genauer genommen, exakt 3.25 Uhr, als
Lars Dietrich den Schlüssel zu der gemeinsamen Wohnung im Schloss umdreht. Der
gemeinsamen Wohnung, die von Luise wohlgemerkt, alleinig bezahlt wird. Seine
Frau ist eingeschlafen, weil sie müde gewesen ist. Und seine Frau ist beruhigt
eingeschlafen, weil sie Beweise gefunden hat. Heute, das bereits in ein Morgen,
nach diesem Heute, übergegangen ist. Und weil Luise weiß: Irgendwann kommt er
immer. Der Lars Dietrich. Auch wenn es spät geworden ist, mit Lars und Lars. So
wie Heute. So wie Morgen. Lars und Lars Dietrich haben gearbeitet. Zunächst am
Arrangement von „Küsse auf der Haut“. Vier absteigende Töne und vier
aufsteigende Töne. Klavier und Bass. Dazu der schwebende Text. Wunderbar.
Danach an einem ganz wichtigen Baustein des Managements. Einem ganz notwendigen
Segment, des Kulturmanagements von Lars und Lars, gewissermaßen. Sie haben
gemeinsam an ihrer Außen-Wirkung gearbeitet. Und da ist der wichtigste Baustein
die Kommunikation mit den Fans. Ohne Kommunikation kein Fan. So hat Lars einmal
zwinkernd zu Luise gesagt. Als diese den roten Schopf zu schütteln begann. Ihr
seid peinlich! Hat sie damit vermitteln wollen. Und sie hat gedacht, wieder
einmal, dass Lars kein Umgang für Lars Dietrich ist. Keine Klasse, der Mann. So
denkt sie. In diesem Moment. Kurz vor dem Einschlafen. In diesem Moment, in dem
Lars und Lars das Arrangement zur Seite legen. Fertig! In diesem Moment, in dem
sie sich in die weiten Welten des Internet begeben. Lang wird er werden, der
Abend. Erst die Tiefe der Nacht, wird Lars Dietrich an die notwendige Rückkehr
ins Reale denken machen. Bis dahin lebt das virtuelle Leben! Lars und Lars
haben ein Blog als Lars und Lars. Sie haben auch eine gemeinsame Homepage „LL“
und eine Fan-Seite in einem Social Media-Forum. Als Lars und Lars. Dann hat
Lars noch eine Homepage als Solo-Künstler und ebenso hat Lars Dietrich eine
Homepage als Solo-Künstler. Jede Homepage hat natürlich auch ein Gästebuch.
Lars und Lars kommentieren jeden neuen Eintrag höchstpersönlich. Mit ganz viel
Liebe! Das kann der Fan erwarten. Das kann er erwarten, dass er hofiert und
kommentiert wird. Der Fan. Oder besser DIE Fan. Lars findet soziale Netzwerke
im Internet absolut interessant. Hier aquiriert es sich angenehm. Hier findet
er sein Publikum. Und so gibt es im WWW auch kaum einen Treff, eine Börse oder
ein Cafe, in dem Lars nicht unter seinem richtigen Namen oder einem weiteren
Künstler-Pseudonym mitspielt. Hier spiele ich die erste Geige! Sagt er zu
seinem Freund. Zu Lars Dietrich. An diesem Abend. Also Jetzt. Und zeigt ihm
eine Auswahl von Profilen weiblicher Mit-Spiel-Willigen. Cafe-Leben.de,
Paarlauf.de und neuerdings auch Geil.de. Da hat Lars zunächst gedacht, das sei
dann doch zu unseriös. Aber nein, aber nein! Die Frauen sind da süß und
sentimental, wie überall und nirgendwo. Frau ist Frau! Lars weiß, was Frauen hören
wollen. Egal wie ausgekocht sie tun. Sie sind einsam. Sie sind ausgehungert.
Sie sehen keine großen Chancen mehr für sich. Ihr Herz versucht es im Internet.
Und siehe da! Dann kommt Lars. Er fädelt ein. Er fädelt auf. Und spielt die
Geige, bis die Tränen laufen. Er berührt Herzen. Ein Dutzend bestimmt. Ein
Dutzend Frauen-Herzen, ist eine gefühlte Million Frauen-Herzen. Und so bekommen
seine Songs zunehmend weibliche Vornamen als Titel angepasst. Ein Titel ist ein
Fan und ist ein zahlender Publikums-Kopf. Wenn wieder ein Konzert ansteht.
Nicht full house vielleicht. Aber gut besucht zumindest. Oder zumindest besser
besucht, als es ein Konzert, ohne
vernetzte Werbemaßnahmen, wäre. Luise hat sich bereits über die
weiblichen Vornamen gewundert, die häufig, ohne inhaltlichen Bezug, über dem
Song-Text schweben. Früher ist Lars berühmt-berüchtigt gewesen für Titel wie
„Mondlastendes Kalkül“ oder „Erdender Stern“ sowie „Schnuppenglühen“. Doch die
Zeit ist reif. Reif für „Stefanie“, „Monika“ und „Susanne“. Reif für weniger
Gewagtes, dafür individuell Berührendes. Die Zeit ist reif für Lars. Sagt Lars
kauzig zu Luise. Wenn die ihre Flunsch zieht. Die Zeit ist reif! In diesem
Moment! Also Jetzt! Oder Nie! Raunt dann ihre Stimme in sein Ohr. Und ein
schändliches Kichern lässt sein Blut zu Eis gefrieren. Luise ist Lars ein Dorn
im Auge. Und ein Stachel im Fleisch ist Luise auch. Wie Lars Dietrich sich das
gefallen lassen kann, das alles, von dieser Frau, das versteht Lars nicht.
Wieso angelt Luise sich keinen Lehrer mit Beamtengage? Fragt Lars genervt in
den Raum hinein, in dem auch Lars Dietrich sich befindet. Und Lars Dietrich
bleibt stumm. Mit Entsetzen im Blick. Verstört. Aufgeschreckt. Ja, was wohl,
wenn Luise sich einen Lehrer mit Beamten-Gage angelt? Was, wenn sie die
Großkunst nicht länger zu mäzenieren wünscht. Was dann, Lars Dietrich? Und so
flüchtet auch Lars Dietrich, hinter Lars, in die gnädigen Wogen aus
vielstimmigen Sympathiebekundungen, die Lars und Lars aus dem WWW entgegen
schwellen. Schön ist es, berühmt zu sein. Schön ist es, geliebt zu werden.
Heute Abend. Heute Nacht. Von einer Vielzahl kunstbeflissener Damen. Die
angezogen sind, von den Gratis-Downloads, wie die Motten vom Licht. Als wäre
das Sirenensang. Was sie da hören dürfen. In Bass und Bariton. Schön ist es,
auf der Welt zu sein. Schön ist es, Künstler zu sein. Schön ist es Lars und
Lars zu sein. Und dann, irgendwann, findet ein erster, morgendlicher Sonnengruß
Lars Dietrichs Gewissen. Oh, Luise! Sie soll nicht erwachen ohne ihn, ihren
Mann. Und während Lars Dietrich um 3.25 Uhr den Schlüssel im Schloss der
ehelichen Wohnung umdreht, schwört Lars einer vierzigjährigen Sabine, den
kommenden, um Geburt bettelnden Song, nur für sie zu schreiben. Titel: Sabine!
Und Luise murmelt zur selben Zeit im Traum: Es zahlt sich aus. Es gibt Beweise!
Und Lars Dietrich legt sich neben seine Frau.
Alles gut.
Sie hat ihn nicht
vermisst.
Und die Uhr macht Ticktack.
Ganz ohne Taktik!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen