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Tamara de Lempicka: Schlafende |
II
Ich habe es satt! Das denkt noch
eine Andere. In diesem Moment, vor zweieinhalb Jahren. Also Jetzt. Ich habe es
vollständig satt! Denkt sie. Ich habe es satt, zu funktionieren! Ich habe es
satt, für das Abendessen zu sorgen! Ich habe es satt, wenn mein Freund über das
Sushi herfällt, als sei es ein Wiener Schnitzel! Und ich habe es satt, dass er
danach zusieht, wie ich den Tisch abräume! Ich habe es satt, an einem gedeckten
Tisch neben einem lebenden Roboter zu sitzen, der am Handy klebend, stereotyp
Anweisungen für die kommende Woche an seine Mitroboter weitergibt! Ich habe die
Dachterrasse satt, auf der ich nicht sitzen kann, weil die Tauben sie
beschmutzen und ich habe es satt, dass er nichts dagegen unternimmt! Ich habe
es satt, zuzuschauen, wie ein, von mir, vergifteter Tauberich von seiner Dame
gurrend betrauert wird. Tagelang, wohlgemerkt, gurrend und flatternd betrauert
wird, wie ich meinen Freund nie und nimmer betrauern würde! Ich habe es satt,
mir vorzustellen, wie gut es wäre, wenn ich ihn vergiften könnte! Und ich habe
es satt, mir vorzustellen, wie es danach wäre, ohne ein Testament, das an mich
denkt! Ich habe meine Abhängigkeit von seinem Reichtum satt und ich habe seine
Humorlosigkeit satt! Ich habe es satt, dass er mir den Vorwurf macht, dass ich
noch immer tatenlos zusehe, wie er seine Wäsche zu seiner Mutter bringt, um sie
waschen zu lassen! Und ich habe es satt, unter ihm zu stöhnen, obwohl ich nur
daran denke, dass die Liebe, Gott sei Dank, bei ihm nicht lange dauert! Ich
habe diesen Tag satt und den vorherigen Tag habe ich auch satt und den morgigen
Tag habe ich Heute schon satt! Satt habe ich Alle! Alles nur noch satt! Ich
habe es satt, mir vorwerfen zu lassen, ich würde nur fordern und ich habe es
satt, mir vorwerfen zu lassen, es ginge mir nur um sein Geld! Ich bin eine
Frau! Ich bin schön! Ich bin ein glamouröses Leben durch Freunde gewöhnt! Ich
pflege mein Äußeres und ich weiß mich zu bewegen, in seiner Society! Das kostet
Geld! Ich habe es satt, dass er mir dennoch meine Unabhängigkeit vorwirft, die
ich beibehalten habe und die Art, mit der ich mein eigenes Geld verdiene! Ich habe es satt, dass
er das Nuttengeld nennt! Nut-ten-geld! Ich bin Maklerin. Verkäuferin, schnauzt
er. Oh, wie satt habe ich das! Ich habe es satt, ihn nicht verlassen zu können!
Und ich habe es satt, ihm erklären zu müssen, dass ich nur dann an seiner Seite
bleiben kann, wenn er meine Unabhängigkeit finanziert und garantiert! Ich habe
es satt, diesen Mann ohne Sicherheit und ohne Absicherung ertragen zu müssen!
Und ich habe es satt, ihm sagen zu müssen, dass ich meinen Job nur aufgeben
werde, wenn er mir eine andere Möglichkeit mit identischen Konditionen
aufweist! Ich habe es satt, ihm die Welt zu erklären und ich habe es satt, ihm
das Wesen einer Frau nahe bringen zu müssen! Satt habe ich ihn, der mich stört,
in diesem luxuriösen Sein, das in letzter Instanz von ihm finanziert wird!
Alles das habe ich so satt!
Und doch schmeißt diese Dame sich nicht mit bebender Brust auf die weiße
Wohnlandschaft, um ihren Kummer im hemmungslosen Heulen einer gedemütigten
Wölfin zu erlösen. Nein, sie schmeißt sich nirgendwo hin, obwohl sie so satt
ist, vom jetzigen Sein. Statt dessen beginnt sie beharrlich die Fingernägel zu
feilen, zzzsssszzzzsssszzzzsss begleitet die Feile aus Silber ihr gleichmäßiges
Tun. Und so hört sie auch nicht das Drehen des Schlüssels im Schloss und nicht
die festen Schritte des Mannes im Vorraum der Penthouse-Wohnung. Hoffentlich
macht sie nicht wieder ihr Zickengesicht! Denkt Dieser, doch sein Herz bleibt
ruhig im Takt, Bum-Bum, in diesem Augenblick, vor zweieinhalb Jahren. Also
Jetzt. Sein Herz bleibt sich sicher, nie wird sie gehen, er ist der reichste
Mann der Area. Schwerreich! Schweinereich geradezu! Und sie hört nicht auf, den
Fingernagel zu runden und zu glätten, mit Konzentration und Besessenheit, hält
dem Heimkehrer aber kokett das Oval ihrer Wange entgegen und spitze
Männerlippen dürfen ein „Grüß Dich, mein Schatz!“ darauf drücken.
Was hast Du zu Essen besorgt? Ah, Sushi. Sehr schön! Wirklich! Könntest Du
Morgen vom Italiener…?
Und sie sitzen gemeinsam am Abendbrottisch und er umklammert sein Handy und spricht
Unverständliches hinein. Und das Heute vergeht noch einmal mit dem Heute, das
vor zweieinhalb Jahren ist, also Jetzt, ohne dass sie von Trennung spricht. Ein
Tag wie viele Tage also. Keine besonderen Vorkommnisse!
An diesem Abend indes,
beschließt sie still, sich eine eigene Wohnung zu mieten, die er zu zahlen hat.
Aber ihr Herz setzt für einen Pulsschlag aus und zeigt ihre Angst vor
Autonomie.
Und er setzt sich an seinen
Laptop und berechnet die Bilanzen.
Heute stimmen sie. Also Jetzt, vor zweieinhalb Jahren. Aber sie stimmen auch
Heute noch. Zweieinhalb Jahre nach diesem Tag.
Alles Andere ist Anders!
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