"Menschenlichter im Tollhaus": Felix im Glück. Protokoll V.
Felix im Glück
Unsanft lande ich in der Matrix einer Person, mit der
ich verschmelze und die Felix heißt.
Felix ist ein jung gebliebener Fünfziger.
Felix, so weiß ich als Felix, heißt Glück.
Ich bin also Felix und laufe an einem Bahndamm
entlang. Hüpfenden Herzens laufe ich seit zwei Stunden den Bahndamm hinauf und
hinunter und schreie mein Glück in die Dunkelheit einer anbrechenden Nacht, die
mir wunderbar zu sein scheint.
Das Leben drückt manchmal schwer und manchmal möchte
man den Hut in die Luft werfen und einen Looping kreisen machen und vor Glück
schreien.
Das Leben tut heute weh vor lauter Freude.
Ich habe es geschafft!
Ich habe das Buch geschrieben, das ich habe schreiben
wollen. Ich habe es an einen Verlag geschickt und ich habe das Buch zur
Verwirklichung preisgegeben, wie ich mich, ein Jahr hindurch, an das Buch gegeben
habe.
Das Buch ist im Dämmerlicht geschrieben, symbolisch betrachtet,
es beobachtet Menschen im Dämmer ihres So-Seins. Es schmeichelt den Menschen
nicht durch Kerzenschein. Es zeigt Ihr Leben im dämmrigen Schattendasein und ich bin, wie ein anderer Großer auch, der Ansicht, dass Dämmer die
einzig wahre Menschheitsbeleuchtung ist!
Im Übrigen bin ich schon immer ein Dichter gewesen,
ein Dichter der Menschheit, wie ich mich insgeheim von jeher nenne, kein
Humanist übrigens und kein Gutmensch, aber ein exzessiver Menschheitsdichtermensch!
Und doch verbringe ich, die meiste Zeit meines
alltäglichen Daseins, in einem ganz spießbürgerlich zu nennenden Beamtendasein,
schließlich verdiene ich mein Geld als
Lehrer, an einem der letzten
humanistischen Gymnasien dieser Stadt. Ich bin ein guter Lehrer, ich bin
auch gerne Lehrer, aber das Lehrerdasein ist ausschließlich zum Schutze meiner
Dichterseele vorhanden.
Solchermaßen schätze ich die Struktur meiner Fassade
und dichte mehr oder weniger in gestohlenen Dämmerlichtstunden. In den Clubs
und Zirkeln der pulsierenden Orte der Stadt, bin ich dennoch ein Bekannter und
auch schon irgendwie Anerkannter, weil an mancher Stelle mit Kultverdacht Bedachter.
Als Juliana, vor drei Jahren, aus dem Fenster des
fünften Stockes gesprungen ist, war ich seltsam gefasst gewesen, zunächst, dann
seltsam ergriffen und danach tatsächlich verzweifelt.
Jetzt, wo ich vor Glück platzen möchte, sprechen meine
Lippen, im Takt meines Herzens, zu der toten Juliana.
Juliana ist Musikerin gewesen und sie hat sich eine
Zeit lang, mit Tremolo und Tango in der Stimme, in die Herzen der Stadt gesungen,
bis ihr Stern zu sinken begann.
Sie konnte auch klassisch. Als sie mir, in einem nach
Parfum duftenden Privatkonzert, ein Lied aus Schuberts Winterreise gesungen hat,
ein Lied, das eigentlich einer Männerstimme zugeschrieben wurde, und
“diese Straße musst Du gehen, die noch keiner ging zurück,
die noch keiner ging...”
mit diesem Blick, den sie mir während dieser Zeilen geschenkt
hatte, zu ihrem eigenen Lied gemacht hat, spätestens da hätte mir die ungemein
ungestüme Dramatik ihrer Seele bewusst sein müssen.
“Der Mensch ist frei!”, habe ich wütend gedacht, als
sie mich angerufen hat, mitten in der Nacht, um mir mitzuteilen, was sie nun in
die grausige Tat umzusetzen gedenke.
“Der Mensch ist frei, in seinen Gedanken und in seinen
Erfindungen!”
Von diesem Gedanken bin ich auch heute, im Hier und
Jetzt am Bahndamm laufend und letztlich
glücklich in meinem Erfülltsein, überzeugt.
„Der Mensch ist frei, wenn er weiß, dass er sich
stetig erfindet, zwischen der Leere und der Möglichkeit des Gedachten. Du bist
frei“, dachte ich, „solange Du nicht gesprungen bist!“
Aber sie ist gesprungen und sie war frei. Sie ist
gesprungen, weil sie sich mit sich selbst und ihrer Dramatik so identifiziert
hat, dass sie sich für schlüssig halten musste, in Ihrem Tun und sie war dennoch
frei, wenngleich sie ihre Freiheit schon lange vergessen hatte.
Aber sie hätte den Sprung aus dem Fenster ihres Hauses
sein lassen können. Sie hätte ihren
Wunsch, mich und die Welt zu bestrafen, für unseren Mangel an Konsistenz der Anerkennung,
auflösen können. Aber sie wollte es
nicht sein lassen. Sie lebte ja auf, in ihrem letzten, selbst geschriebenen
Kapitel des Lebensbuches.
Ich laufe und laufe die Bahngleise entlang und lobe
mein Lehrerdasein.
„Ja, ich sei eine gespaltene Existenz“, hat sie mir an
den Kopf geworfen, „ja, das sei ich!“
Das bin ich
aber nicht.
Ich weiß nur um unterschiedliche Existenzformen. Wenn
es die Freiheit gibt, gibt es keine eine Form, es gibt nur Findungen und Erfindungen
in die Form hinein, in denen wir leben.
Nur wenn wir zu lange in einer Form stecken bleiben, glauben wir an
diese Form, als das unsrig Vorgegebene. Das aber ist eine Illusion!
Sie ist doch eine Künstlerin gewesen, sie hätte doch
wissen müssen, wie wir das ICH zeichnen und stricheln, im ewigen Wunsche und
doch immer versagen werden, wenn wir glauben, das sei das Fatum und Faktum.
Ich bin heute glücklich, weil mein Buch veröffentlicht
werden wird und doch werde ich schon Morgen neu anfangen, in meinem Ringen um
mich selbst.
Ich werde den Lehrer in mir bekämpfen müssen und den
geschmeichelten Dichter nur kurzfristig geschmeichelt sehen, um den Sturz von
Juliana, aus ihrem Fenster, als Dichtender neu zu erfinden. Doch sie wird
triumphieren, in ihrem auf immer und ewig Tot-Sein!
Ich werde, nach einer Woche des glückseligen Ausruhens auf meiner
Dichtung, die neue erste Zeile formen und wissen, sie ist nichts und doch groß,
wie alles und jedes nichts ist und groß. Aber frei, frei, frei und immer in der
Schuld!
Gott sei mir gnädig!
Ich liebe sie auch heute.
Nur heute liebe ich sie! Aber Gott sei mir gnädig!
Ich stolpere, stürze fast, aber ich stehe auf, fange
meinen Hut aus der Luft wieder auf und gehe weiter am Bahndamm entlang und
wachse nicht mit jedem Schritt, aber weine.
Meine Seele singt ihren Chanson, den sie für mich geschrie-ben
und komponiert und gesungen auf CD gepresst hat.
Ich habe diese
CD einen Tag nach Ihrem Fenstersprung in einem Kuvert in meinem Briefkasten
vorgefunden.
Es ist ein ganz alberner Chanson, ein Zeugnis ihres
schwin-denden Talentes:
Als der Nebel niedertropfte, die Nacht sich Schleier
angelegt,
ich den Spiegel sehen wollte, dich dort nicht mehr sah! Wie sonderbar, wie sonderbar, es war doch einmal wunderbar..!
ich den Spiegel sehen wollte, dich dort nicht mehr sah! Wie sonderbar, wie sonderbar, es war doch einmal wunderbar..!
Als die Sonne Wunder hoffte, der Mond sich Kleider
umgelegt,
du mir meine rauben wolltest, ich sah mich so nah! Wie wunderbar, wie wunderbar, doch so fremdlich sonderbar..!
du mir meine rauben wolltest, ich sah mich so nah! Wie wunderbar, wie wunderbar, doch so fremdlich sonderbar..!
Als der Regen Wolken suchte, Schutz sich ausgesucht, IchDu in den Pfützen hüpfend, Füße
mit den Flügeln schlugen! Wie wunderbar, doch sonderbar,
so sonderbar und wunderbar..!
so sonderbar und wunderbar..!
Als die Flügel nicht mehr winkten, warst Du doch nach Haus gegangen,
mich hast Du nur fast gefangen,
(zu) früh mich vergessen, dann und wann! Wie sonderbar, wie sonderbar, es ist noch immer wunderbar….!
Juliana ist tot gewesen und ich habe diese Zeilen, von
ihrer Stimme, vorgeträllert bekommen. Sie ist eine dumme Person gewesen. Nichts
weiter!
Ich ziehe den Hut ins Gesicht. Er hat seinen Looping
gehabt.
Das soll für heute genügen!
Aus der Ferne höre ich den Zug heranrollen.
Keine Angst! Mich kriegt er nicht!
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