Silvester in "Die letzte Station"...

...von Ersan Mondtag: "Nun wird mir doch unheimlich!"



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Das Drama des Menschen: Der Tod allein ist es nicht, doch es kultminiert im Tod und endet mit dem Tod. Ich sehe meinen 95igjährigen Vater vor mir. Wie er damals darauf bestand, Mahlers 5te zu hören mit mir. Schwarze Platte und Grammophon. Und ihm schauerte. Und er sagte: "Nun wird mir doch unheimlich". Und ich wusste, was er meinte, mit diesem gnadenlosen Schicksals-Tönen, das in dieser  Musik durch das Zimmer zog. Wenige Wochen später dann ein weiterer kleiner Schlaganfall. Pflegestation. Zum ersten Mal für ihn. Für mich. Ich wusste, er würde nie mehr in seine Wohnung zurückkehren. Er bat einen Pfleger, einen sehr netten, pfiffigen, aufbauenden Pfleger, ihn aus dem Bett zu stemmen, um ihn zur Toilette zu führen. Und dieser sagte, dass das nicht nötig sei, er habe eine Windel an. Über das Weitere soll ich nun schweigen. Es wäre dem Lebenden und dem Toten nicht recht, darüber etwas zu sagen.


Nun also ich allein im Berliner Ensemble. (Paganini, der Kater, in der Redaktionskonferenz: "Nee, nee. Ich bin zu alt für diesen Zirkus!")
Noch vor der Premiere der "letzten Station" hatte ich mich dafür entschieden. Die Thematik, in Kombination mit der detailversessenen Bilderflut des Ersan Mondtag, war mir gedankliches Faszinosum. Der Regisseur hat sich bereits zu einer originären Marke entwickelt und ist doch jung und kühn genug, um sich an Experimente zu wagen.

Ich wählte folglich zu Silvester ein "Überraschungs-Ei" mit hochwertigem Wiedererkennungseffekt, so wie ich es mir auch von diesem Jahr erhoffe, das heute geboren wird.  Meine Erwartungen sind mittlerweile nicht hoch geschraubt, denn die Premieren-Kritiken blieben Alles in Allem im "Nicht-richtig-schlecht und nicht-richtig-gut"-Grauton hängen.
Nun denn, die Farbe Grau passt vielleicht zu einem Stück, das "Die letzte Station" heißt. Und doch beginnt, wenn sich der wehende Vorhang, auf dem DRAMA fast wie mit Blut geschrieben steht, die Szenerie in ein anderes, tönendes Rot getaucht, wie verfremdetes Abendrot, so ein Rot. Nur schrecklicher!
Ansonsten: Holzhütte rechts, Tannenbäume links, ein Brunnen und einige Holzbänke. Dazu das stereotype Singsang von Grillen.

Auf der Bank vor der Hütte sitzen Judith Engel und Constanze Becker. Die Engel ist kein Engel, sondern mal "Herrin der Pforte" und mal Spielkameradin und meist herrlich affige Grande Dame, nein, keines edlen Senioren-Stifts, sondern einer Art "Übergangsstation" - nach Art der "Bahnhofsmission" für nicht mehr funktionstüchtige Alte: Sprich Pflegestation.

Constanze Becker, im Blümchennachthemd und Schlappen, ist als schöne, noch junge "Tragödin" des Hauses zu erkennen, aber sie spielt nun eine alte, sterbende Frau, mit einem durchschnittlichen Leben. Und da sie spielen kann, ist das glaubwürdig. Ohne viel Maske.

Liegt hier der Vorwurf der Feuilletons begründet, in einer Enttäuschung, dass ausgerechnet Ersan Mondtag,  mit DIESEN Schauspielerinnen, so schlicht bleibt in dieser Regie-Arbeit und auf seine berühmt- berüchtigte Morbidität und Künstlichkeit weitgehend verzichtet?

Der Beginn von "Die letzte Station", in diesem bannenden Rotlicht, hält mich auf dem Sitz. Hatte ich mir doch versprochen, Silvester nicht durch eine mittelmäßige Theater-Aufführung vermiesen zu lassen. Plan B ist also dabei.
Dann folgen 5 Minuten, in denen ich tatsächlich überlege, ob ich mich daran freuen kann, Constanze Becker, diese "Medea"-"Amazone-"Caligula"-Titelfigur, nun noch 1 Stunde und 40 Minuten in pinkfarbenen Plüschpantoffeln alzheimern oder todesfantasierend senil zu sehen.

Und schließlich ist es so, wie es mir bei Ersan Mondtag regelmäßig einfach passiert: Ich muss bleiben, ob ich will oder nicht. Und schließlich wird aus dem "muss" ein sehr bannendes "will".

Wovon handelt "Die letzte Station"? Sie handelt vom Sterben!

So lapidar sagt das der Regisseur und so steht es in den Gazetten. Genauer gesagt, handelt das Stück vom Sterben (universell), durch oder am "Alter" (konkret), in der heutigen Zeit (in einer Pflegestation/konkret).

"Mir wird nun doch unheimlich". So ist das Sterben.
Ersan Mondtag bildet es nicht ab. Er führt es nicht vor.
Er bleibt absichtlich hinter seinen theatralen Möglichkeiten zurück.
Er erzählt auch keine Geschichte über eine Sterbende.

Was ihm gelingt, ist eine atmosphärische Verdichtung, die das Sterben als Erfahrung in seiner psychischen Vielschichtigkeit schmerzhaft real erlebbar macht und dennoch, ohne gewohnte Film- oder Theater-Tod-Effekte, sehr großes Theater entstehen lässt.

Licht, Musik, Choreografie und die Zusammenarbeit mit dem Dance On Ensemble führen  fast unerträglich nah an diesen Rand, diese Grenze, wo das Unentrinnbare spürbar ist.
Die Mängel - manchmal - im nicht prätentiösen Text, sind verzeihlich.

Tief berührt (und von Theater verführt) verlasse ich das neue "Kleine Haus" des neuen Berliner Ensembles.
Ein noch geschmückter, doch bereits lädiert aussehender, Weihnachtsbaum ragt auf dem Hof in Richtung Himmel, über den ein (fast vollendeter) Vollmond wacht.
Wie gerne grüße ich nun sie alle, die Toten meines Lebens. Ein schöner Silvester-Abend.
Ich liebe Theater. Ich liebe Berlin. Und ich liebe das Leben.

...und müssen wir auch Alle, Alle eines Tages untergehen...!

Dann aber verjagen Feuer-Regen die Geister. Und das macht Bumm.
Wie ein Start-Schuss.
Nach der Endstation ins neue Jahr hinaus. Wer darf das sonst. Außer Phönix.


Prosit Neujahr!

Willkommen 2018!



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