"Das Unaufhörliche": Benn meets Hindemith!


Am 8.7.1930 schreibt Gottfried Benn an Paul Hindemith:


...Ihre Aufforderung nun, einen Text zu machen, der für Sie in Betracht käme, ist für mich sehr ehrenvoll u. der Gedanke regt mich auch an. Aber ich bin im Augenblick körperlich und geistig so ermüdet u. ohne Spannung, daß ich an keine Arbeit denken kann.

Ja, es ist anzunehmen, dass Benn der Gedanke an ein Team-Work zunächst nahezu unerträglich gewesen sein muss.
Doch die Idee, für ein "weltliches Oratorium" das Libretto zu schreiben, hat ihn dann doch eingefangen.
Schon einige Tage später, am 19.7.1930, schreibt der Dichter erneut an den Musiker:

...daß mir Ihre mir in das Exemplar von "Cardillac" von Ihnen eingeschriebene Aufforderung nun noch einige Male durch den Kopf gegangen ist und ich versucht habe, eine Art Text, von geringem Unfang und ohne Prätention, zu verfassen, den ich Ihnen der Einfachheit halber gleich anbei, ohne erst vorher bei Ihnen anzufragen, mitsende.
Dieser Text, genannt: "Das Unaufhörliche" ist kein Lehrstück, sondern mehr eine Dichtung. Der Name soll das unaufjörliche Sinnlose, das Auf und Ab der Geschichte, die Vergänglichkeit der Größe und des Ruhms, das unaufhörlich Zufällige und Wechselvolle der Existenz schildern, vielmehr lyrisch auferstehn lassen...
(Briefwechsel mit Paul Hindemith, Fischer TB)

Und so entsteht die erste Nihilisten-Oper der Welt!
Das Team-Work scheint Freude bereitet zu haben. Gottfried Benn erinnert sich später:

Hindemith und ich waren damals sehr befreundet, wohnten beide in Berlin, wir arbeiteten es zusammen aus. Einmal sagte er: das kann ich nicht komponieren, das müssen Sie ändern, dann tat ich es. Manchmal sagte ich: Sie müssen besser komponieren lernen, das kann ich nicht ändern, aus dichterischen Gründen. Dann tat er es.
(Gottfried Benn, Genie und Barbar, Aufbau Verlag)

So entstanden dann die Texte. Solche Texte wie dieser zum Beispiel:

 Lebe wohl!
farewell,
und nevermore!-:
aller Sprachen Schmerz- und Schattenlaut
sind dem Herzen
sind dem Ohre
unaufhörlich
tief vertraut.

Lebe wohl,
good bye,
felice notte
und was sonst noch heißt, daß es nicht bleibt:
alles Ruf vom unbekannten Gotte,
der uns
unaufhörlich
treibt.

(Die Paganini´s-Redaktion schmilzt bei diesen Dichter-Worten einheitlich dahin!)

Übrigens wird das Geld, das Benn für seine Arbeit erhält, sofort vom Finanzamt gepfändet.
Er wütet:
Die Leute sind irre, der Staat muß zertrümmert werden. Die freien Berufe, (...), die müssen wieder ran, den verkrachten u. verlumpten Staat zu finanzieren. Nein, da bleibt einem die Spucke weg u. da vergeht einem die Laune!
(Genie und Barbar, Aufbau V.)

Und nun, nach dieser Schimpferei, endlich das Gesamtkunstwerk:

Das Unaufhörliche: Teil I
Das Unaufhörliche: Teil II

Das Unaufhörliche: Teil III
Lothar Zagrosek, direction.


Dazu in Wikipedia:
"Das Unaufhörliche ist ein Oratorium in drei Teilen für Soli, gemischten Chor, Knabenchor und Orchester von Paul Hindemith und Gottfried Benn. Die Uraufführung erfolgte 1931 in München bei der 2. Tagung für Rundfunkmusik durch den Philharmonischen Chor und das Philharmonische Orchester unter Otto Klemperer.[1] Die Veröffentlichung erfolgte bei Schotts Söhne, Mainz, 1931. Benn selbst veröffentlichte eine gekürzte Fassung des lyrischen Textes erstmals in seinen Ausgewählten Gedichten von 1936.
Gottfried Benn schrieb zu diesem Oratorium eine Einleitung. Dort erläutert er:

Wir wissen von der Schöpfung nichts, als daß sie sich verwandelt –, und das Unaufhörliche soll ein Ausdruck für diesen weitesten Hintergrund des Lebens sein, sein elementares Prinzip der Umgestaltung und der rastlosen Erschütterung seiner Formen.“[2] Im Fortgang dieser Einleitung führt Benn aus, dass dieser Gedanke der sich ewig wandelnden Schöpfung von Heraklit herkommend über die Griechen sich in der deutschen Literatur schließlich in Goethes Faust und dann bei Nietzsches Also sprach Zarathustra fände. Benn versteht das Unaufhörliche nicht als religiöses oder philosophisches, sondern als „universelles Prinzip ..., das seit Anfang in der Menschheit lebt und das Beziehung hat zum Schicksalhaften ...“[3]"

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